Günther Heidemann

Verlegeort
Lessingstr. 5
Bezirk/Ortsteil
Hansaviertel
Verlegedatum
17. September 2019
Geboren
22. September 1913 in Berlin
Verhaftet
19. Juli 1942 bis 14. September 1943 in Westerbork
Deportation
am 14. September 1943 nach Auschwitz
Später deportiert
am 28. Oktober 1944 in das KZ Stutthof
Später deportiert
im November 1944 in das Außenlager Hailfingen-Tailfingen des KZ Struthof
Ermordet
27. Dezember 1944 in Hailfingen-Tailfingen

Günther Heidemann wurde am 22. Juli 1913 in Berlin geboren. Sein Vater Hermann Heidemann, der Bruder meines Großvaters Arthur Heidemann, betrieb bis zu seinem Tod 1916 ein Zigarrengeschäft. Die Mutter von Günther war Rosalie-Gertrud, geb. Lewisohn. Günther hatte einen Bruder namens Rudolf, der genau ein Jahr älter als Günther war. Auf einem Foto sind die beiden Geschwister (am Tisch mit dunklen Hemden) zu sehen, zusammen mit meiner Mutter Selma Heidemann (mit weißer Schleife im Haar) und ihrem jüngeren Bruder Hermann (sitzend auf dem Lehnstuhl). Links im Bild mein Großvater Arthur und rechts noch im Bild Gertrud. Nur meine Mutter und ihr Bruder Hermann haben den Holocaust überlebt.<br />
Am 4. Januar 1916 starb der Vater von Günther in der Schlacht um den Hartmannsweiler Kopf in den Vogesen durch Artilleriebeschuss. Hermann Heidemann war einer von insgesamt 12.000 jüdischen Soldaten, die ihr Leben im Ersten Weltkrieg ließen. Der Kaiser hatte 1915 den Familien der Gefallenen versprochen: „Der Dank des Vaterlandes ist Euch gewiss.“ Der Dank des Vaterlandes bestand darin, dass die gesamte Familie von Hermann, seine Frau Gertrud und ihre beiden Söhne Günther und Rudolf, im Holocaust ermordet wurde.<br />
<br />
Die verwitwete Gertrud zog 1917 mit ihren beiden Söhnen, damals drei und vier Jahre alt, in die Wohnung ihres Vaters Leo Lewisohn in die Goethestr. 82 in Charlottenburg, wo die beiden Kinder aufwuchsen und zur Schule gingen. Drei der vier Brüder des Gefallenen Hermann Heidemann, darunter mein Großvater Arthur, wohnten in den 1920er-Jahren ebenfalls in Charlottenburg. <br />
<br />
Über die Zeit vor der Flucht wissen wir nur, dass Günther im Februar 1938 in Leipzig die vier Jahre ältere Lucia Jäger geheiratet hat. Wir wissen nicht, ob Lucia zu Günther nach Berlin zog, auf alle Fälle folgten die beiden der Familie von Lucia nach Zaandam, einem Vorort von Amsterdam. Günthers Bruder Rudolf hatte Berlin schon gut ein Jahr zuvor verlassen und wohnte in Amsterdam. Die Mutter Gertrud folgte mit ihrem zweiten Ehemann, dem ehemaligen Amtsgerichtsrat Arthur Bach, im Jahr 1939 nach. Holland galt unter deutschen Juden als „sicherer Hafen“. Das Land war im Ersten Weltkrieg neutral geblieben und würde es auch in einem neuen Krieg bleiben, so dachte man. Im März 1939 zogen Günther und Lucia nach Amsterdam in die Mozartstraat 5. Günther gründete zusammen mit dem jüngeren Bruder von Lucia, Hans Jäger, und deren Vater Ferdinand Jäger einen Textilbetrieb für Schulterpolster, die Firma Jäger & Heidemann. In der Saison 1939/40 war Günther Mitglied des Amsterdamer Fußballclubs HEDW, der viele jüdische Mitglieder hatte.<br />
<br />
Mit der deutschen Besetzung der Niederlande im Mai 1940 verschlechterte sich die Lage des jungen Paares rasch. Am 22. Oktober 1940 wurden alle jüdischen Unternehmen verpflichtet, ihre Betriebe registrieren zu lassen und sämtlichen Besitz offenzulegen. Rund fünfzig Prozent aller jüdischen Geschäfte und Untenehmen wurden geschlossen, die andere Hälfte wurde „arisiert“. Die Schulterpolsterfabrik Jäger & Heidemann wurde im März 1941 „arisiert“, Ende März mussten Günter und Lucia ihre geräumige Wohnung in der Mozartstraat aufgeben. Sie zogen in die Lekstraat im Stadtviertel Rievierenbuurt, das von den Nazis zum Judenviertel erklärt wurde. Der Versuch, daraus ein abgesperrtes Ghetto nach dem Vorbild polnischer Städte zu machen, scheiterte jedoch am Widerstand der gesamten Bevölkerung.<br />
<br />
Ende Februar 1941 begann in Amsterdam ein Generalstreik gegen die schrittweise Entrechtung der Juden, der von der deutschen und holländischen Polizei brutal niedergeschlagen wurde. Es kam zu ersten Hinrichtungen von Juden und Kommunisten. Hitlers Statthalter in Holland, Arthur Seyß-Inquart verkündete: „Wir werden die Juden schlagen, wo wir sie treffen und wer mit ihnen geht, hat die Folgen zu tragen.“ <br />
<br />
Am 15. April mussten alle Juden, so auch Günther und Lucia, ihre Radioapparate abgeben. Ab Mitte September waren sie gezwungen, den gelben Judenstern zu tragen, und sie erhielten neue Vornamen: Israel und Sara. Ihr Pässe wurden mit einem großen „J“ gestempelt und im November wurde den beiden die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Im Frühjahr 1942 fanden die Vorbereitungen für die „Endlösung“ der in Holland lebenden Juden statt: Alle holländischen Juden, insgesamt 140.000, von denen etwa 60.000 außerhalb Amsterdams lebten, mussten in drei von den Nazis zu Judenvierteln erklärte Stadtbezirke von Amsterdam umsiedeln. Für Günther bedeutete dies, dass er seine Schwiegereltern in seiner kleinen Wohnung in der Lekstraat aufnehmen musste.<br />
<br />
Am 30. Dezember 1942 wurde Günther zusammen mit seiner Frau in seiner Wohnung festgenommen und ins „Transitlager“ Westerbork gebracht. Ihm Februar 1943 folgte ihm seine Mutter Gertrud und im Mai sein Bruder Rudolf nach Westerbork. So wusste die Mutter, dass ihre beiden Söhne das gleiche Schicksal erleiden würden wie sie selbst. <br />
<br />
Günther und Lucia wurden in Viehwaggons mit dem 75. Judentransport am 14. September 1943 abtransportiert, der Zug erreichte nach zwei Tagen Fahrt am 16. September Auschwitz. Günther wurde an der Rampe von seiner Frau getrennt und kam ins Arbeitslager Auschwitz-Monowitz.<br />
<br />
Günther wurde die Häftlingsnummer 150.682 eintätowiert. Über ein Jahr später wurde er im November 1944 mit 600 weiteren Häftlingen von Auschwitz über Stutthof bei Danzig nach Hailfingen bei Reutlingen in ein Außenlager des Konzentrationslagers Natzweiler (Elsass) verbracht. Die Häftlinge sollten eine militärische Start- und Landebahn instandsetzen. Die Häftlinge schliefen im ungeheizten Hangar auf dem mit etwas Stroh bedeckten kalten Boden. Sanitäre Anlagen gab es keine, der Hangar war voller Ungeziefer. Ernährung und Bekleidung waren völlig unzulänglich und es gab keinerlei ärztliche Versorgung. Mehrere Gefangene wurden von den Wachmannschaften erschossen oder kamen bei Luftangriffen ums Leben. Körperliche Erschöpfung durch Schwerstarbeiten im Steinbruch und bei Waldrodungen setzten den ohnehin stark geschwächten Häftlingen gesundheitlich so zu, dass von Mitte November bis zur Auflösung des Lagers im Februar 1945 nachweislich 186 Menschen ums Leben kamen.<br />
<br />
Günther Heidemann starb elendig am 27. Dezember 1944. Sein Körper wurde im Krematorium auf dem Friedhof im nahen Reutlingen verbrannt. Die Asche sollte auf Befehl der Nazis verstreut werden, die Friedhofswärter entzogen sich diesem Befehl und verwarten die Asche in Urnen. So befindet sich Günthers Asche mit der von etwa 100 weiteren Häftlingsleichen heute auf dem Friedhof in Reutlingen, eine Gedenktafel mit den Namen der Opfer erinnert auch an Günther. In Herrenberg (bei Hailfingen) gab es seit den 1980er-Jahren eine Bürgerinitiative, die sich für die Errichtung einer Gedenkstätte einsetzte. Gegen großen Widerstand in Hailfingen und Umgebung ist es sehr engagierten Menschen gelungen, ein beeindruckendes Denkmal auf dem Gelände der Rollbahn mit den Namen der 600 Opfer und eine Gedenkstätte in den Räumen des ehemaligen Rathauses von Hailfingen zu errichten.<br />
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Günther Heidemann wurde am 22. Juli 1913 in Berlin geboren. Sein Vater Hermann Heidemann, der Bruder meines Großvaters Arthur Heidemann, betrieb bis zu seinem Tod 1916 ein Zigarrengeschäft. Die Mutter von Günther war Rosalie-Gertrud, geb. Lewisohn. Günther hatte einen Bruder namens Rudolf, der genau ein Jahr älter als Günther war. Auf einem Foto sind die beiden Geschwister (am Tisch mit dunklen Hemden) zu sehen, zusammen mit meiner Mutter Selma Heidemann (mit weißer Schleife im Haar) und ihrem jüngeren Bruder Hermann (sitzend auf dem Lehnstuhl). Links im Bild mein Großvater Arthur und rechts noch im Bild Gertrud. Nur meine Mutter und ihr Bruder Hermann haben den Holocaust überlebt.
Am 4. Januar 1916 starb der Vater von Günther in der Schlacht um den Hartmannsweiler Kopf in den Vogesen durch Artilleriebeschuss. Hermann Heidemann war einer von insgesamt 12.000 jüdischen Soldaten, die ihr Leben im Ersten Weltkrieg ließen. Der Kaiser hatte 1915 den Familien der Gefallenen versprochen: „Der Dank des Vaterlandes ist Euch gewiss.“ Der Dank des Vaterlandes bestand darin, dass die gesamte Familie von Hermann, seine Frau Gertrud und ihre beiden Söhne Günther und Rudolf, im Holocaust ermordet wurde.

Die verwitwete Gertrud zog 1917 mit ihren beiden Söhnen, damals drei und vier Jahre alt, in die Wohnung ihres Vaters Leo Lewisohn in die Goethestr. 82 in Charlottenburg, wo die beiden Kinder aufwuchsen und zur Schule gingen. Drei der vier Brüder des Gefallenen Hermann Heidemann, darunter mein Großvater Arthur, wohnten in den 1920er-Jahren ebenfalls in Charlottenburg.

Über die Zeit vor der Flucht wissen wir nur, dass Günther im Februar 1938 in Leipzig die vier Jahre ältere Lucia Jäger geheiratet hat. Wir wissen nicht, ob Lucia zu Günther nach Berlin zog, auf alle Fälle folgten die beiden der Familie von Lucia nach Zaandam, einem Vorort von Amsterdam. Günthers Bruder Rudolf hatte Berlin schon gut ein Jahr zuvor verlassen und wohnte in Amsterdam. Die Mutter Gertrud folgte mit ihrem zweiten Ehemann, dem ehemaligen Amtsgerichtsrat Arthur Bach, im Jahr 1939 nach. Holland galt unter deutschen Juden als „sicherer Hafen“. Das Land war im Ersten Weltkrieg neutral geblieben und würde es auch in einem neuen Krieg bleiben, so dachte man. Im März 1939 zogen Günther und Lucia nach Amsterdam in die Mozartstraat 5. Günther gründete zusammen mit dem jüngeren Bruder von Lucia, Hans Jäger, und deren Vater Ferdinand Jäger einen Textilbetrieb für Schulterpolster, die Firma Jäger & Heidemann. In der Saison 1939/40 war Günther Mitglied des Amsterdamer Fußballclubs HEDW, der viele jüdische Mitglieder hatte.

Mit der deutschen Besetzung der Niederlande im Mai 1940 verschlechterte sich die Lage des jungen Paares rasch. Am 22. Oktober 1940 wurden alle jüdischen Unternehmen verpflichtet, ihre Betriebe registrieren zu lassen und sämtlichen Besitz offenzulegen. Rund fünfzig Prozent aller jüdischen Geschäfte und Untenehmen wurden geschlossen, die andere Hälfte wurde „arisiert“. Die Schulterpolsterfabrik Jäger & Heidemann wurde im März 1941 „arisiert“, Ende März mussten Günter und Lucia ihre geräumige Wohnung in der Mozartstraat aufgeben. Sie zogen in die Lekstraat im Stadtviertel Rievierenbuurt, das von den Nazis zum Judenviertel erklärt wurde. Der Versuch, daraus ein abgesperrtes Ghetto nach dem Vorbild polnischer Städte zu machen, scheiterte jedoch am Widerstand der gesamten Bevölkerung.

Ende Februar 1941 begann in Amsterdam ein Generalstreik gegen die schrittweise Entrechtung der Juden, der von der deutschen und holländischen Polizei brutal niedergeschlagen wurde. Es kam zu ersten Hinrichtungen von Juden und Kommunisten. Hitlers Statthalter in Holland, Arthur Seyß-Inquart verkündete: „Wir werden die Juden schlagen, wo wir sie treffen und wer mit ihnen geht, hat die Folgen zu tragen.“

Am 15. April mussten alle Juden, so auch Günther und Lucia, ihre Radioapparate abgeben. Ab Mitte September waren sie gezwungen, den gelben Judenstern zu tragen, und sie erhielten neue Vornamen: Israel und Sara. Ihr Pässe wurden mit einem großen „J“ gestempelt und im November wurde den beiden die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Im Frühjahr 1942 fanden die Vorbereitungen für die „Endlösung“ der in Holland lebenden Juden statt: Alle holländischen Juden, insgesamt 140.000, von denen etwa 60.000 außerhalb Amsterdams lebten, mussten in drei von den Nazis zu Judenvierteln erklärte Stadtbezirke von Amsterdam umsiedeln. Für Günther bedeutete dies, dass er seine Schwiegereltern in seiner kleinen Wohnung in der Lekstraat aufnehmen musste.

Am 30. Dezember 1942 wurde Günther zusammen mit seiner Frau in seiner Wohnung festgenommen und ins „Transitlager“ Westerbork gebracht. Ihm Februar 1943 folgte ihm seine Mutter Gertrud und im Mai sein Bruder Rudolf nach Westerbork. So wusste die Mutter, dass ihre beiden Söhne das gleiche Schicksal erleiden würden wie sie selbst.

Günther und Lucia wurden in Viehwaggons mit dem 75. Judentransport am 14. September 1943 abtransportiert, der Zug erreichte nach zwei Tagen Fahrt am 16. September Auschwitz. Günther wurde an der Rampe von seiner Frau getrennt und kam ins Arbeitslager Auschwitz-Monowitz.

Günther wurde die Häftlingsnummer 150.682 eintätowiert. Über ein Jahr später wurde er im November 1944 mit 600 weiteren Häftlingen von Auschwitz über Stutthof bei Danzig nach Hailfingen bei Reutlingen in ein Außenlager des Konzentrationslagers Natzweiler (Elsass) verbracht. Die Häftlinge sollten eine militärische Start- und Landebahn instandsetzen. Die Häftlinge schliefen im ungeheizten Hangar auf dem mit etwas Stroh bedeckten kalten Boden. Sanitäre Anlagen gab es keine, der Hangar war voller Ungeziefer. Ernährung und Bekleidung waren völlig unzulänglich und es gab keinerlei ärztliche Versorgung. Mehrere Gefangene wurden von den Wachmannschaften erschossen oder kamen bei Luftangriffen ums Leben. Körperliche Erschöpfung durch Schwerstarbeiten im Steinbruch und bei Waldrodungen setzten den ohnehin stark geschwächten Häftlingen gesundheitlich so zu, dass von Mitte November bis zur Auflösung des Lagers im Februar 1945 nachweislich 186 Menschen ums Leben kamen.

Günther Heidemann starb elendig am 27. Dezember 1944. Sein Körper wurde im Krematorium auf dem Friedhof im nahen Reutlingen verbrannt. Die Asche sollte auf Befehl der Nazis verstreut werden, die Friedhofswärter entzogen sich diesem Befehl und verwarten die Asche in Urnen. So befindet sich Günthers Asche mit der von etwa 100 weiteren Häftlingsleichen heute auf dem Friedhof in Reutlingen, eine Gedenktafel mit den Namen der Opfer erinnert auch an Günther. In Herrenberg (bei Hailfingen) gab es seit den 1980er-Jahren eine Bürgerinitiative, die sich für die Errichtung einer Gedenkstätte einsetzte. Gegen großen Widerstand in Hailfingen und Umgebung ist es sehr engagierten Menschen gelungen, ein beeindruckendes Denkmal auf dem Gelände der Rollbahn mit den Namen der 600 Opfer und eine Gedenkstätte in den Räumen des ehemaligen Rathauses von Hailfingen zu errichten.