Leopold Weichmann

Location 
Flotowstr. 9
District
Hansaviertel
Stone was laid
October 2011
Born
09 October 1876 in Pakosch (Posen) / Pakość
Deportation
on 17 March 1943 to Theresienstadt
Dead
October 1943 im Ghetto Theresienstadt

Leopold Weichmann wurde am 9. Oktober 1876 in Pakosch (dem heutigen Pakość in Polen) in der damaligen preußischen Provinz Posen geboren. Die Kleinstadt liegt rund 15 Kilometer westlich von Inowrazlaw (Inowrocław) und war ehemals als berühmter katholischer Wallfahrtsort bekannt. Leopold Weichmann war der Sohn des Kaufmanns und Händlers Marcus Weichmann (1843–1922) und von dessen Ehefrau Therese, geborene Murzynski (1846–1922). Sein Vater stammte ursprünglich aus Lipno, etwa 80 östlich von Pakosch gelegen; seine Mutter aus Inowrazlaw. In den späten 1860er-Jahren hatten Leopolds Eltern geheiratet und sich in Pakosch niedergelassen. Um die Jahrhundertwende lebte das Ehepaar in der Innenstadt an der Adresse Markt 17.

Leopold Weichmann wuchs im Kreis von mindestens neun Geschwistern auf: Seine ältere Schwester Cäcilie war 1875 zur Welt gekommen; seine Brüder Heinrich, Martin, Walter und Richard in den Jahren 1882, 1891, 1893 und 1895, seine Schwestern Paula und Nanny 1878 und 1888. Die Geburtsdaten seiner Brüder Salomon und Siegfried Weichmann gehen aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Die Kinder der Weichmanns besuchten vermutlich die kleine jüdische Privatschule am Ort. Seit Anfang der 1890er-Jahre gab es außerdem eine jüdische Elementarschule in Pakosch. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Leopold Weichmann in Pakosch im ausgehenden 19. Jahrhundert geben könnten. Seine Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit der überschaubaren jüdischen Gemeinde der Kleinstadt an, zu der zum Zeitpunkt der Geburt von Leopolds rund 140 der etwa 1800 Einwohner zählten. Über die schulische Ausbildung von Leopold Weichmann haben sich keine Zeugnisse erhalten. Nach Schulabschluss und Militärdienst ergriff er wie sein Vater den Beruf eines Kaufmanns.

Im Ersten Weltkrieg (1914–1918) meldete sich Leopold Weichmann entweder freiwillig oder wurde eingezogen. Er war an verschiedenen Orten des europäischen Kriegsschauplatzes eingesetzt und diente als Soldat bei der 12. Kompagnie des 3. Bataillons des Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 64. In den Jahren 1915 und 1917 wurde er verwundet. Sein Bruder Martin Weichmann diente ebenfalls als Soldat im Ersten Weltkrieg und wurde in den letzten Kriegsjahren gleichfalls mehrfach verwundet. Mit dem Ende des Krieges kehrte Leopold in die Heimat zurück und lebte Anfang der 1920er-Jahre in Memel (heutiges Klaipėda in Litauen). Er bewohnte eine Wohnung in der Libauerstraße 44 (Herkaus Manto gatvė) in der Memeler Neustadt nahe des Libauer Platzes (Lietuvininkų Aikštė). Im Dezember 1923 heiratete Leopold in Berlin die aus dem oberschlesischen Suchau (heutiges Sucha) stammende Kontoristin Herta Camnitzer. Herta war zwanzig Jahre jünger als Leopold, 1896 geboren und die Tochter des in Berlin ansässigen Fuhrmanns Jacob Camnitzer (1859–1933) und der Rebekka Bertha Camnitzer, geborene Neumann (1856–1942). Das Ehepaar nahm sich nach der Hochzeit eine gemeinsame Wohnung in Berlin. Mitte der 1920er-Jahre führte Leopold Weichmann kurzzeitig ein nach ihm benanntes Teppich und Gardinenhaus in der Knesebeckstraße 54/55 in Mitte. Anfang der 1930er-Jahre zogen die Weichmanns in den Norden der Hauptstadt nach Reinickendorf, wo sie in der Letteallee Haus 24 unweit des Schäfersees und ab 1931/1932 in der Benkestraße 56 (heutige Letteallee 56) wohnten. 1933 zogen Leopold und Herta Weichmann in die Lessingstraße 41, wo Hertas Eltern lebten. Sie kümmerten sich nach dem Tod ihres Vaters im August 1933 um die verwitwete Rebekka. Leopold hatte inzwischen eine Stelle als kaufmännischer Angestellter angenommen.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als solche galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Leopold Weichmann und seine Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden und Anfang der 1930er-Jahre hatte die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zugenommen. Ab 1933 institutionalisierte sich der Antisemitismus mit Hilfe staatlicher Autorität. Gesetze und Sondererlasse drängten Leopold Weichmann zunehmend in die Position eines Rechtlosen. 1935 zog das Ehepaar Weichmann zusammen mit der 79-jährigen Rebekka in eine Wohnung im Vorderhaus parterre der Flotowstraße 9 im Hansaviertel in Mitte. Mehrere ihrer Familienangehörigen verließen Deutschland in den 1930er-Jahren. Aus den vorliegenden Quellen geht nicht hervor, ob auch Leopold und Herta Pläne verfolgten, das Land zu verlassen. Sollten sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre wurde das Leben für das Ehepaar in Berlin zum reinen Existenzkampf. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. In den 1940er-Jahren wurden sowohl Leopold als auch Herta zur Zwangsarbeit herangezogen: Leopold Weichmann zuletzt als Arbeiter bei der als kriegswichtig eingestuften „Deka Pneumatik G.m.b.H.“ in der Boxhagener Straße 80 in Friedrichshain, die Reifen sowie Gummierzeugnisse für die Kriegsproduktion herstellte. Herta war Zwangsarbeiterin bei der „Batterien & Elemente-Fabrik Zeiler G.m.b.H.“ in der Rungestraße 20 in Mitte.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Jüdinnen und Juden beginnen würde. Leopold und Herta mussten miterleben, wie die 86-jährige Rebekka im September 1942 aus der Flotowstraße 9 in das Ghetto Theresienstadt deportiert wurde. Nur wenige Wochen später war Hertas Mutter nicht mehr am Leben. Sie wurde in Theresienstadt am 29. Oktober 1942 ermordet – entweder infolge direkter oder indirekter Gewalteinwirkung mittels planvoller Mangelernährung, versagter Medikamente, Kälte und körperlicher Misshandlungen. Im Frühjahr 1943 erhielten auch Leopold und Herta Weichmann den Deportationsbescheid. Sie wurden in einem der Berliner Sammellager interniert und am 17. März 1943 mit dem sogenannten „4. großen Alterstransport“ in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Leopold Weichmann überlebte die unmenschlichen Bedingungen in Theresienstadt mehrere Monate, bevor der 67-Jährige am 16. Oktober 1943 im Ghetto ermordet wurde. Leopolds Ehefrau wurde aus Theresienstadt am 16. Mai 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo sie – vermutlich unmittelbar nach ihrer Ankunft – ermordet wurde.

Nur wenige von Leopold Weichmanns Angehörigen überlebten die NS-Verfolgung: Seine Schwester Cäcilie, verheiratete Nachemstein, und ihr Ehemann Leopold (*1877) wurden 1941 im Ghetto Piotrków Trybunalski ermordet. Ihr Sohn Herbert (*1905) konnte mit seiner Ehefrau Ingeborg, geborene Lewin (*1910), und dem Sohn Peter (*1935) über Genua nach Shanghai entkommen. Sie lebten später in Australien. Leopolds Bruder Heinrich wurde mit seiner Ehefrau Rosa, geborene Darmrauer (*1894), und ihrer Tochter Traue (*1922) aus ihrem Wohnort in Pakosch in das Ghetto Piotrków Trybunalski deportiert und nach Familienangaben im Vernichtungslager Treblinka ermordet. Leopolds Bruder Martin Weichmann wurde im Dezember 1942 aus Danzig (Gdańsk) in das Ghetto Theresienstadt deportiert und dort im April 1944 ermordet. Nanny Weichmann, verheiratete Cohn, und ihr Sohn David konnten sich ins Exil nach England retten. Paula Weichmann, verheiratete Lachmann, wurde wie ihr Bruder Martin im Dezember 1942 aus Danzig nach Theresienstadt deportiert. Sie überlebte. Das Schicksal von Leopolds Geschwistern Salomon und Siegfried Weichmann geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Aus dem Familienzweig seiner Ehefrau überlebten Hertas Bruder Leo Camnitzer (*1886) mit seiner Ehefrau Henni, geborene Blumberg (*1892) und deren Kinder Ursula (*1916) und Peter (*1924) sowie Ursulas Sohn Hans Joachim (*1935) versteckt in Belgien. Sie emigrierten nach dem Krieg in die USA – mit Ausnahme von Peter Camnitzer, der mit Ehefrau und Kindern in Belgien blieb. Hertas Bruder Richard Camnitzer (*1895) konnte sich ebenfalls retten und lebte später in Montevideo; ihr Bruder Ernst Camnitzer (*1888) in Israel. Herthas Bruder Fritz Alfred (*1889) war mit seiner Ehefrau Lore Margarete, geborene Schüler (*1905), in die Niederlande geflohen, wo 1939 ihre Tochter Maud Liliane Camnitzer zur Welt kam. Alle drei wurden im September 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet.