Herta Weichmann née Camnitzer

Location 
Flotowstr. 9
District
Hansaviertel
Stone was laid
October 2011
Born
03 December 1896 in Suchau (Westpreußen) / Sucha
Deportation
on 17 March 1943 to Theresienstadt
Murdered
in Auschwitz

Herta Luise Camnitzer wurde am 3. Dezember 1896 im dörflichen Suchau in Oberschlesien (dem heutigen Sucha in Polen) geboren. Der Ort liegt etwa 35 Kilometer nördlich von Bromberg (Bydgoszcz). Herta war die jüngste und einzige Tochter des in Suchau ansässigen Fuhrherren Jacob Camnitzer (1859–1933) und von dessen Ehefrau Rebekka Bertha, geborene Neumann (1856–1942). Ihre beiden Eltern stammten ebenfalls aus Suchau und hatten im Jahr 1882 geheiratet. Herta hatte mindestens sieben ältere Geschwister: Ihre Brüder Harry, Leo, Ernst und Alfred Fritz waren 1884, 1886, 1888 und 1889 in Suchau zur Welt gekommen. In den Jahren 1891, 1893 und 1895 wurden ihre Brüder Max, Walter und Richard geboren. Über das Elternhaus und die Kindheit von Herta und ihren Geschwistern in Suchau haben sich so gut wie keine Informationen erhalten. Ihre Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit zur kleinen jüdischen Gemeinde des Ortes Suchau.

Es ist aus den vorliegenden Quellen nicht auf das Jahr zu bestimmen, wann die Familie Suchau verließ und sich in Berlin niederließ. Spätestens Mitte der 1900er-Jahre hatten Hertas Eltern eine Wohnung in der Hauptstadt bezogen. Sie lebten ab 1908 mit ihren Kindern in der dritten Etage Vorderhaus der Kleinen Frankfurter Straße 11 (heute überbaut) in Mitte. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs (1914–1918) meldeten sich mindestens drei von Hertas Brüdern – Leo, Max und Walter – freiwillig zum Kriegsdienst oder wurden rekrutiert. Walter und Max fielen 1914 und 1915. Walter starb beim Kavalleriegefecht bei Néry am 1. September 1914, Max am 5. Juni 1915 bei Gefechten an der Ostfront. Leo überlebte seinen Kriegseinsatz und heiratete bei einem Fronturlaub Henni Blumberg, mit der er 1916 eine Tochter namens Ursula bekam.

Herta absolvierte nach ihrem Schulabschluss eine kaufmännische Ausbildung und war als Kontoristin in Berlin tätig, lebte aber weiterhin in der elterlichen Wohnung in der Kleinen Frankfurter Straße. Am 24. Dezember 1923 heiratete sie in Berlin den zwanzig Jahre älteren Kaufmann Leopold Weichmann. Ihr Ehemann stammte aus Pakosch (Pakość) und hatte sich wie Hertas Brüder im Ersten Weltkrieg zum Kriegsdienst gemeldet. Er hatte als Soldat bei der 12. Kompagnie des 3. Bataillons des Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 64 gedient und war bei Gefechten seiner Einheit 1915 und 1917 verwundet worden. Nach dem Ende des Krieges hatte er Anfang der 1920er-Jahre in Memel (heutiges Klaipėda in Litauen) gelebt, bevor er 1923 Herta heiratete und sich mit ihr eine gemeinsame Wohnung in Berlin nahm. Mitte der 1920er-Jahre führte das Ehepaar kurzzeitig ein Teppich- und Gardinenhaus in der Knesebeckstraße 54/55 in Mitte. Anfang der 1930er-Jahre zogen die Weichmanns in den Norden der Hauptstadt nach Reinickendorf, wo sie in der Letteallee Haus 24 unweit des Schäfersees und ab 1931/1932 in der Benkestraße 56 (heutige Letteallee 56) wohnten. Nach dem Tod von Hertas Vater im August 1933 zogen die Weichmanns zur verwitweten Rebekka in die Lessingstraße 41 im Hansaviertel, um sich um sie zu kümmern. Leopold Weichmann war zu diesem Zeitpunkt als kaufmännischer Angestellter in Berlin tätig.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Herta Weichmann und ihre Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden und Anfang der 1930er-Jahre hatte die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zugenommen. Ab 1933 institutionalisierte sich der Antisemitismus mit Hilfe staatlicher Autorität. Gesetze und Sondererlasse drängten Herta Weichmann zunehmend in die Position einer Rechtlosen. 1935 zog das Ehepaar Weichmann zusammen mit der 79-jährigen Rebekka in eine Wohnung im Vorderhaus parterre der Flotowstraße 9 im Hansaviertel.

Mehrere Familienangehörige verließen Deutschland in den 1930er-Jahren. Aus den vorliegenden Quellen geht nicht hervor, ob auch Herta und Leopold Pläne verfolgten, das Land zu verlassen. Sollten sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre wurde das Leben für das Ehepaar in Berlin zum reinen Existenzkampf. So konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ ab dem 19. des Monats nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. In den 1940er-Jahren wurden sowohl Herta als auch Leopold zur Zwangsarbeit herangezogen: Herta zuletzt als Arbeiterin bei der „Batterien & Elemente-Fabrik Zeiler G.m.b.H.“ in der Rungestraße 20 in Mitte; Leopold bei der „Deka Pneumatik G.m.b.H.“ in der Boxhagener Straße 80 in Friedrichshain, die Reifen sowie Gummierzeugnisse für die Kriegsproduktion herstellte.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Jüdinnen und Juden beginnen würde. Herta und Leopold Weichmann mussten miterleben, wie die 86-jährige Rebekka im September 1942 aus der Flotowstraße 9 in das KZ Theresienstadt deportiert wurde. Nur wenige Wochen später war Hertas Mutter nicht mehr am Leben. Sie wurde in Theresienstadt am 29. Oktober 1942 ermordet – entweder infolge direkter oder indirekter Gewalteinwirkung mittels planvoller Mangelernährung, versagter Medikamente, Kälte und körperlicher Misshandlungen.

Im Frühjahr 1943 erhielten auch Herta und Leopold Weichmann den Deportationsbescheid. Sie wurden in einem der Berliner Sammellager interniert und am 17. März 1943 mit dem sogenannten „4. großen Alterstransport“ nach Theresienstadt deportiert. Leopold überlebte die unmenschlichen Bedingungen in Theresienstadt mehrere Monate, bevor der 67-Jährige am 16. Oktober 1943 ermordet wurde. Herta wurde am 16. Mai 1944 aus Theresienstadt in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo sie – vermutlich unmittelbar nach der Ankunft des Transports – ermordet wurde. Zu diesem Zeitpunkt war sie 47 Jahre alt.

Hertas Bruder Leo überlebte mit seiner Ehefrau Henni, geborene Blumberg (*1892) und deren Kinder Ursula (*1916) und Peter (*1924) sowie Ursulas Sohn Hans Joachim (*1935) die NS-Verfolgung versteckt in Belgien. Die Familie emigrierte nach dem Krieg in die USA – mit Ausnahme von Peter, der mit Ehefrau und Kindern in Belgien blieb. Hertas Bruder Richard konnte sich ebenfalls retten und lebte später in Montevideo; ihr Bruder Ernst Camnitzer in Israel. Fritz Alfred war mit seiner Ehefrau Lore Margarete, geborene Schüler (*1905), in die Niederlande geflohen, wo 1939 ihre Tochter Maud Liliane Camnitzer zur Welt kam. Alle drei wurden im September 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Aus dem Familienzweig ihres Ehemannes wurden Hertas Schwägerin Cäcilie, verheiratete Nachemstein, und ihr Ehemann Leopold Nachemstein (*1877) 1941 im Ghetto Piotrków Trybunalski ermordet. Deren Sohn Herbert (*1905) konnte mit seiner Ehefrau Ingeborg, geborene Lewin (*1910), und dem Sohn Peter (*1935) über Genua nach Shanghai entkommen. Sie lebten später in Australien. Hertas Schwager Heinrich wurde mit seiner Ehefrau Rosa, geborene Darmrauer (*1894), und Tochter Traue (*1922) aus ihrem Wohnort in Pakosch in das Ghetto Piotrków Trybunalski deportiert und nach Familienangaben im Vernichtungslager Treblinka ermordet. Ein weiterer Schwager Martin Weichmann wurde im Dezember 1942 aus Danzig (Gdańsk) nach Theresienstadt deportiert und dort im April 1944 ermordet. Hertas Schwägerin Nanny Weichmann, verheiratete Cohn, und ihr Sohn David konnten sich ins Exil nach England retten. Paula Weichmann, verheiratete Lachmann, wurde wie ihr Bruder Martin im Dezember 1942 aus Danzig nach Theresienstadt deportiert. Sie überlebte.