Alfred Lilienthal

Location 
Bornstr. 1
District
Friedenau
Stone was laid
30 April 2024
Born
04 December 1889 in Minden
Occupation
Speditionskaufmann
Escape
1939 Shanghai
Verhaftet
10 November 1938 to 13 December 1938 in Sachsenhausen
Survived

Alfred Lilienthal wurde am 4. Dezember 1889 in Minden, Lindenstr. 19 geboren. Die Familie war jüdisch; bereits der Großvater Moses Lilienthal führte in diesem Haus (damals Obermarktstr. 19) seine Bankgeschäfte.  Auch Alfreds Eltern - der Kaufmann Bruno Lilienthal und Hulda Liebreich – lebten dort mit Tochter Johanna, die ein Jahr vor ihrem Bruder Alfred am 6. Oktober 1888 geboren wurde.
Alfred besuchte in Minden die Mittelschule und das Königliche Evangelische Gymnasium. 1909 beendete er erfolgreich eine Kaufmannslehre. Anschließend leistete er als „Einjährig-Freiwilliger“ seinen Wehrdienst. Nach dem Wehrdienst hielt er sich zwischen 1911 und 1914 als Kaufmann in mehreren europäischen Ländern auf, so war er in Antwerpen, Calais und London. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er als Frontsoldat.

Ab 1919 arbeitete Alfred Lilienthal in seinem Beruf zunächst im Raum Aachen bei Firma Winkler & Fischer, die ihn 1923 in die Berliner Niederlassung beorderte. Am 12. Mai 1923 heiratete Alfred die aus einer evangelischen Familie stammende Stenotypistin und Kontoristin Johanne Beckmann, geboren am 3. Dezember 1900 in Hesepe.  Das junge Ehepaar lebte fortan in Berlin, zunächst in der Kommandantenstr 56, vermutlich zur Untermiete. Im Juli 1924 wechselte Alfred Lilienthal von  Winkler & Fischer zur „Transkosmos - internationale Transportgesellschaft“ als Büroleiter. 1927 zog das Ehepaar in eine „eigene“ Mietwohnung - Alfred Lilienthal war ab 1928 im Berliner Adressbuch in der Belziger Str. 5 in Schöneberg ausgewiesen. 

Am 10. Juni 1930 kam Alfreds Tochter Eva zur Welt.

Beruflich konnte Alfred Lilienthal seine Karriere in der Speditionsbranche fortsetzen: 1932 wechselte er als Geschäftsführer zur „Transhollandia Internationale Transportgesellschaft“. Offenbar ermöglichte die Beförderung der Familie den Umzug in eine Vier-Zimmerwohnung  Bornstraße 1, Aufgang II in Friedenau. Das repräsentative Wohn- und Geschäftsgebäude zog sich als großes Eckhaus von der Bornstr. 1 über die Schlossstraße bis zum Walter-Schreiber-Platz.  Es wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, die Ruine  abgetragen und auf dem alten Grundriss ein modernes Kaufhaus (damals Hertie) errichtet. Das Grundstück Bornstr. 1 wurde zur Einfahrt ins Parkhaus.
Trotz der seit 1933 zunehmenden systematischen Repressionen gegen Juden durch die Nationalsozialisten schien die Familie Lilienthal hiervon zunächst nicht betroffen zu sein: 1935 erhielt Alfred  das von Reichspräsident Hindenburg gestiftete "Ehrenkreuz für Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg". 
 1936 wurde Tochter Eva in die Friedenauer Rheingau-Grundschule eingeschult. 

Doch 1937 änderte sich das Leben der Familie Lilienthal dramatisch:  Alfred Lilienthal wurde als Geschäftsführer von seinem Arbeitgeber  freigestellt und am 1. Juni 1938 endgültig gekündigt. Nach dem Erlass des Reichswirtschaftsministeriums vom 31.05.1938 durften keine Aufträge mehr an Juden und jüdische Unternehmen mehr vergeben werden. 
Die achtjährige Eva durfte nicht mehr zur Schule gehen.
Am 13. Oktober 1938 wurde der Personalausweis von Alfred Lilienthal eingezogen. Am 10. November 1938 nach der Pogromnacht wurde Alfred Lilienthal verhaftet und ins KZ Sachsenhausen überführt. Am 29.11.1938 erging an ihn die Aufforderung, 16.800,- Reichsmark als „Judenvermögensabgabe“ zu zahlen, die am 13.12.1938 von seinem Konto überwiesen wurden. Am 17.12.1938 wurde er aus der Haft entlassen, verbunden mit der Anordnung der Gestapo, sich zügig aus Deutschland zu entfernen.

So bestieg Alfred Lilienthal mit seiner Ehefrau Johanne und der knapp neunjährigen Tochter Eva am 18. April 1939 in Bremerhaven das 1934/35 gebaute Passagierschiff der Norddeutschen Lloyd, die MS „Scharnhorst“.  Ziel war der einzig für Juden noch visafrei zugängliche Hafen in Shanghai. Als Ankunftsadresse hatte Alfred Lilienthal Melchers & Co., 210 Kiukiang Road, P.O.B. 1004 angegeben. 
Die Kiukiang Road – heute Jiujiang Road – galt in den 1920er Jahren als Handelszentrum europäischer Unternehmen und Banker und wurde als „Wallstreet of the East“ betrachtet. Vermutlich hatte Alfred Lilienthal als international tätiger Spediteur Kontakte nach Übersee, die er nun für seine Emigration nutzte. 

Zwischen 1938/39 bis ca. 1941 flohen 17.000 - 20.000 Juden aus Europa nach Shanghai, darunter etwa 7.000 deutsche Juden. Nich erfasst ist die Zahl der Familienangehörigen, die ihre jüdischen Familienangehörigen begleiteten. Soweit bekannt, wohnte Familie Lilienthal zunächst unter einer gemeinsamen Adresse. Die Lebensverhältnisse waren geprägt von Armut und Schmutz. An einen geordneten Schulbesuch für Tochter Eva war nicht zu denken. 
1943 richtete die japanische Besatzungsmacht im Stadtbezirk Hongkou ein Ghetto ein, in dem sich – neben  etwa 100.000 Chinesen – auch alle seit 1938 angekommenen jüdischen Flüchtlinge und weitere Staatenlose und aufhalten mussten. Alfred wurde von Johanne und Eva getrennt. Das Ghetto durfte nur mit Passierschein verlassen werden. 1943 wurde dem Ehepaar vom Deutschen Generalkonsulat die Scheidung nahegelegt. Johanne hätte dann nach Deutschland zurückkehren zu können – aber sie lehnte ab und blieb mit Tochter Eva in Shanghai. Eine Scheidung des protestantisch-jüdischen Ehepaares Alfred und Johanne Lilienthal fand nie statt.

Im August 1945 übernahmen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Amerikaner das Kommando in Shanghai. Das Ghetto wurde aufgelöst, Alfred Lilienthal konnte mit Johanne und Eva gemeinsam in der  343/85 Zhang Yang Lu Road leben.  Nun bemühte sich Familie Lilienthal Shanghai zu verlassen. Sie wollten nach Deutschland zurück.  Aber erst im November 1950 konnten Johanne und Eva Lilienthal die sechswöchige Reise mit dem Schiff nach Hamburg  antreten. 
Für Alfred Lilienthal gestaltete sich die Rückkehr schwieriger: Er musste noch einen Monat länger warten und verließ Shanghai am 20. Dezember 1950. In Deutschland angekommen musste er sich – als „Staatenloser“ - in das für "displaced persons " noch offen gehaltene Lager Föhrenwald bei Wolfratshausen in Bayern begeben. Es dauerte bis August 1951, bis  konnte Alfred Lilienthal nach Berlin zurückkehren konnte. 
Johanne und Eva lebten zu dieser Zeit bereits in Wiesbaden. Eva hatte während der Heimreise Jürgen Kurt Jedicke kennengelernt. Beide fanden Arbeit bei der US-Army  und heirateten 1954. Das erste Kind wurde 1955 geboren. 1956 wanderte die junge Familie Jedicke mit Johanne Lilienthal nach Kanada aus.
Johanne und Eva blieben mit Alfred in engem Kontakt.
Alfred starb 1970 in Berlin. Er wurde auf dem Friedhof in Wilmersdorf, Berliner Straße 81-103 in der Grabstätte B9-UR-106 beigesetzt.  Das Grab existiert nicht mehr; das Nutzungsrecht war 1990 abgelaufen. 
Seine Ehefrau Johanne starb nur drei Wochen später.