Adele Nehlhans

Verlegeort
Torstraße 210
Bezirk/Ortsteil
Mitte
Verlegedatum
07. Juni 2013
Geboren
02. Dezember 1934 in Berlin
Deportation
am 29. November 1942 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Adele Nehlhans wurde am 2. Dezember 1934 in Berlin geboren. Sie war die Tochter des Kaufmanns Arthur Nehlhans (*1899) und der Gertrud Nehlhans, geborene Hirschfeld (*1905). Ihre Mutter stammte aus Gießen und war die Tochter des dortigen Rabbiners und Philosophen Dr. Leo Jehuda Hirschfeld und der Adele Hirschfeld, geborene Schwab. Ihr Vater war der Sohn des Berliner Kaufmanns und Gemeindevorstehers der Alten Synagoge in der Heidereutergasse 4, Max Markus Nehlhans und der Bertha Nehlhans, geborene Seide. Ihr Großvater väterlicherseits hatte ein Geschäft für Luxuspapierwaren und Postkarten in Berlin, welches ihr Vater in den 1930er-Jahren gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Erich weiterführte. Am 12. März 1931 hatten Adeles Eltern geheiratet und sich eine gemeinsame Wohnung in der Flensburger Straße 20 im Hansaviertel genommen.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Adele Nehlhans und ihre Eltern. Darunter fielen zahlreiche Diskriminierungen und soziale Ausgrenzung, der Entzug staatsbürgerlicher Rechte sowie die Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden und Anfang der 1930er-Jahre hatte die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zugenommen.

Adele Nehlhans wurde in eine Gesellschaft geboren, in der sie aufgrund ihrer Geburt als Tochter jüdischer Eltern als „Volksfeindin“ galt und rassistischer Verfolgung ausgesetzt war. Einen Aspekt der sich verschärfenden Diskriminierungen erfuhr die heranwachsende Adele unmittelbar im Bildungswesen: Das Verbot des Besuchs öffentlicher Schulen im November 1938 versperrten ihr den freien Zugang zur Bildung. Die Sechsjährige erlebte zwar noch ihre Einschulung am 22. April 1941 – vermutlich auf einer der privaten Schulen der jüdischen Gemeinde – doch bereits ein Jahr später endete der Besuch für sie und alle anderen jüdischen Schüler mit der Schließung der Schule am 30. Juni 1942.

In den 1930er-Jahren war es einigen ihrer Verwandten mütterlicherseits gelungen, Deutschland zu verlassen: Ihre Tante Rosalie Hirschfeld, verheiratete Adler, konnte mit ihrem Ehemann Jakob und ihren Kindern Adele (* 1927) und Naomi (*1929) über Rotterdam in die USA auswandern; ihre Tante Hanna, verheiratete David, gelangte mit ihrem Ehemann Ernst in das britische Mandatsgebiet Palästina. Ob auch Arthur und Gertrud Nehlhans planten, mit ihrer Tochter aus Deutschland zu entkommen, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Sollten sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese.

1934 war die Familie in eine neue Wohnung in der Altonaer Straße 13 gezogen. Arthur und sein Zwillingsbruder führten das von Adeles Großvater übernommene Papierwarengeschäft ab 1937/1938 in zwei getrennten Ladengeschäften an ihren Wohnadressen: Erich Nehlhans in der Prenzlauer Straße 12a und Arthur Nehlhans in der Artilleriestraße 31, wohin Arthur mit seiner Familie 1938 gezogen war. Beide Brüder schlossen ihre Ladengeschäfte zwangsweise nach den antisemitischen Pogromen vom Juni und November 1938.

Ende 1939 oder Anfang 1940 zogen Arthur und Gertrud mit ihrer Tochter in ihre letzte Berliner Wohnadresse in der Elsässer Straße 54 (heutige Torstraße 210) in Mitte. Hier kam am 31. Oktober 1941 Adeles Schwester Judis zur Welt. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre war das Leben für die Familie in Berlin zum reinen Existenzkampf geworden. So konnten sie sich – einschließlich der damals sechsjährigen Adele – mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Jüdinnen und Juden“, ab dem 19. September des Jahres nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Es ist außerdem sehr wahrscheinlich, dass Arthur und Gertrud zu Zwangsarbeit in Berliner Betrieben herangezogen worden waren.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Jüdinnen und Juden beginnen würde. Die Eltern von Adele erhielten den Deportationsbescheid im Herbst 1942. Sie mussten ihre Wohnung in der Elsässer Straße 54 räumen und wurden mit ihren Töchtern in einem der Berliner Sammellager interniert. Am 29. November 1942 wurden die vier mit dem „23. Osttransport“ aus Berlin in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet. Adele Nehlhans war zum Zeitpunkt der Deportation sieben Jahre alt, ihre Schwester Judis gerade ein Jahr.

Von ihren Familienangehörigen überlebten nur wenige die NS-Verfolgung: Ihre Großeltern Max Markus und Bertha Nehlhans waren im August 1942 in das KZ Theresienstadt und einen Monat später weiter in das Vernichtungslager Treblinka deportiert worden, wo sie ermordet wurden. Ihre Tante Frieda Nehlhans, verheiratete Rosenthal, wurde zusammen mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn Günther Joachim (*1924) im Januar 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Ihr Onkel Richard Nehlhans wurde am 12. März 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Dessen Ehefrau Rosa, geborene Katzenberg, war kurz vor der Deportation im Februar 1943 in Berlin verstorben. Adeles Onkel Erich Nehlhans überlebte die NS-Verfolgung in Berlin in der Illegalität. Er war nach dem Krieg erster Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, bis er von einem Militärgericht wegen vermeintlicher Agitation verurteilt, 1950 in sowjetischer Haft umkam. Seine Ehefrau Edith Nehlhans, geborene Perlinsky, war am 1. März 1943 aus Berlin in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet worden. Eine weitere Tante, Lydia Nehlhans, verheiratete Krakauer, war im August 1939 nach Polen abgeschoben, und laut Angaben von Familienangehörigen mit ihrem Ehemann in den 1940er-Jahren in Auschwitz ermordet worden. Ihre Tochter Resi Krakauer (*1923) war in Berlin untergetaucht, wurde aber 1943 oder 1944 verhaftet. Anders als ihr Bruder Arno (*1929), der Häftling in Auschwitz, Mauthausen und Buchenwald gewesen war, bevor er befreit wurde, überlebte sie die NS-Verfolgung nicht. Adeles Tanten mütterlicherseits, Rosalie und Hannah, überlebten mit ihren Familien im Exil in den USA und Palästina.