Erna Rosenthal geb. Kahn

Verlegeort
Jakobikirchstraße 2
Bezirk/Ortsteil
Kreuzberg
Verlegedatum
07. Mai 2024
Geboren
22. März 1900 in Berlin
Flucht in den Tod
12. Oktober 1944 in Berlin

Erna Kahn kam am 22. März 1900 in Berlin als Tochter des jüdischen Sattlers Michael Kahn und dessen Ehefrau Hedwig, geb. Glogauer, zur Welt. Erna hatte noch einen älteren Bruder namens Berthold, der um 1894 geboren wurde. Zwei ältere Schwestern waren im Säuglingsalter verstorben. Die Familie wohnte im Haus Rosenstraße 2, das der Jüdischen Gemeinde gehörte und dessen Hauswart Ernas Vater war. Michael Kahn ist in den Berliner Adressbüchern der folgenden Jahre als Kultusbeamter der Jüdischen Gemeinde, Verwalter und Hauswart des Eckhauses Rosenstraße 2-4 / Heidereutergasse 5 aufgeführt. Im Hinterhof dieser Gebäude befand sich die älteste Synagoge Berlins, die 1712–1714 errichtet und bis 1942 genutzt wurde. Sicherlich spielte die jüdische Religion im Leben der Familie Kahn eine große Rolle.

Ernas Bruder Berthold Kahn nahm als Musketier der 3. Kompagnie des Infanterie-Regiments No. 396 am Ersten Weltkrieg teil. Er starb am 25. Juli 1917 im Alter von 23 Jahren im Feldlazarett in Dolzanka bei Ternopil, heute im Westen der Ukraine gelegen, an seinen Verwundungen.

Erna Kahn erlernte den Beruf der Putzmacherin, sie stellte also Hüte und Kopfbedeckungen für Damen her. Sie heiratete am 8. Dezember 1921 den Musiker Julius Gustav Rosenthal, geb. am 14. Juli 1896 in Berlin. Er hatte am Staatlichen Konservatorium für Musik in Leipzig studiert, bis er 1915 zum Militär einberufen wurde. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs konnte er sein Studium aus finanziellen Gründen nicht fortsetzen und bereiste als Pianist mit einem Herrenorchester die Großstädte Deutschlands.

Nach der Hochzeit zog Erna zu ihrem Mann in die Schöneberger Bahnstraße 22 (heute Crellestraße). Die Ehe blieb kinderlos.

Da Julius Rosenthal sein Beruf als Musiker nicht befriedigte, besuchte er die Arbeiterwohlfahrtsschule in Frankfurt am Main und wurde anschließend beim Wohlfahrtsamt Kreuzberg angestellt. Er war in Frankfurt der KPD beigetreten und engagierte sich gewerkschaftlich.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde Julius Rosenthal fristlos aus politischen und rassischen Gründen aus dem Bezirksamt Kreuzberg entlassen. Er war zwar nur väterlicherseits jüdischer Abstammung, galt aber für die Nationalsozialisten rechtlich als Jude, da er mit einer sogenannten „Volljüdin“ verheiratet war. Julius Rosenthal betätigte sich fortan politisch illegal, indem er Flugblätter und Kettenbriefe verfasste und für deren Verbreitung sorgte.

Um 1934 zogen die Rosenthals in eine Zwei-Zimmer-Wohnung in der Jakobikirchstraße 2 in Kreuzberg. Diese Straße befindet sich unweit des Moritzplatzes und verläuft zwischen der Jakobi-Kirche und der Ritterstraße. Keins der 10 Häuser, die einst diese Straße säumten, existiert noch.

1935 betraute die Jüdische Gemeinde zu Berlin Julius Rosenthal mit der Leitung des Bezirks Süden der Jüdischen Winterhilfe. Nach dem Verbot jeglicher Sozialtätigkeit innerhalb der Jüdischen Gemeinde durch die Gestapo wurde er zum Bezirksleiter der Kleiderkammer Süden, zum Vorsteher der Erfassungsstelle und zum Verhandlungsführer mit den städtischen Wirtschaftsämtern berufen.

Aufgrund der „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ konnten sich die Rosenthals ab dem 19. September 1941 nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen.

In seiner Eigenschaft als Vorsteher der Erfassungsstelle verlangte die Gestapo von Julius Rosenthal, aktiv beim Abholen und Abtransport der zur Deportation bestimmten Juden mitzuhelfen. Daraufhin beendete er seine Tätigkeit für die Jüdische Gemeinde. 

Erna Rosenthals Vater, der zuletzt im Altersheim der Jüdischen Gemeinde in der Iranischen Straße 3 wohnte, wurde am 16. Juni 1942 mit dem 6. Alterstransport nach Theresienstadt und von dort am 19. September 1942 in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und ermordet. Ihre Mutter war bereits 1937 verstorben. 

Das Ehepaar Rosenthal tauchte am 18. Februar 1943 unter und lebte fortan illegal in Berlin. 

Erna Rosenthal erlitt am 22. Februar 1944 einen Straßenunfall und wurde mit doppeltem Schädelbruch als Polizeihäftling in die im Jüdischen Krankenhaus eingerichtete Polizeistation eingeliefert. Dort blieb sie mehrere Monate, während sich ihr Ehemann vermutlich weiter versteckte.

Als Erna Rosenthal nach der Ausheilung des Schädelbruchs deportiert werden sollte, unternahm sie am 11. Oktober 1944 einen Selbstmordversuch, an dessen Folgen sie einen Tag später im Krankenhaus der Jüdischen Gemeinde verstarb: Sie hatte eine Überdosis Schlafmittel genommen. Erna Rosenthal wurde nur 44 Jahre alt.

Julius Rosenthal erlebte die Befreiung Berlins durch die Rote Armee und wurde am 19. Mai 1945 im Polizeipräsidium angestellt. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt.