Lea Goldbrenner geb. Freund

Verlegeort
Invalidenstraße 2
Bezirk/Ortsteil
Mitte
Verlegedatum
30. November 2013
Geboren
19. Juli 1888 in Prezeworsk
Deportation
am 13. Januar 1942 nach Riga
Ermordet
in Riga

Lea Freund wurde am 19. Juli 1888 in Przeworsk (heute Polen) geboren. Die damals zu Österreich-Ungarn gehörende Stadt in Galizien liegt am nordwestlichen Rand des Rzeszówer Hügellands am Fluss Mleczka, rund 150 Kilometer südlich von Lublin. Przeworsk hatte seit 1862 den Status einer „Königlichen Freistadt“ und lag an der wichtigen Handelsverbindung und Eisenbahnstrecke Krakau–Lemberg. Lea Freund war die Tochter des Kaufmanns Wolf Scharfmann (1868–1906) und dessen Ehefrau Etla Freund, verh. Scharfmann (*1864). Ihr Vater stammte ursprünglich aus Biłgoraj (damals im russischen Kaiserreich, heute Polen), ihre Mutter war in Przeworsk geboren worden. Die Eltern hatten nach der Geburt von Lea in Przeworsk geheiratet und sich gemeinsam in der Stadt niedergelassen. Lea hatte mindestens fünf jüngere Geschwister: Ihre Brüder Alexander und Markus David, die 1894 und 1901 in Przeworsk zur Welt kamen, sowie ihre Geschwister Jules, Cherskel und Chana Scharfmann, deren Geburtsdaten aus den vorliegenden Quellen nicht hervorgehen. Ihre Eltern gehörten aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde des Ortes, zu der gegen Ende des 19. Jahrhunderts etwa 1900 der damals rund 3400 Einwohner zählten.

Nach dem Tod ihres Vaters heiratete Lea 1911 den Kaufmann Josef Goldbrenner. Er war zwei Jahre jünger als Lea und stammte wie ihr Vater aus Biłgoraj. Nach der Hochzeit nahm sich das Ehepaar eine Wohnung in Przeworsk. Im August 1913 kam ihr erstes Kind, Willy Goldbrenner zur Welt. 1915 folgte Max, der im österreichischen Klein Pörchnau geboren wurde, und 1925 schließlich ihre Tochter Sonja, die in Przeworsk geboren wurde. Über das Leben der Familie in Przeworsk in der Zeit der Weimarer Republik haben sich leider keine weiteren Zeugnisse erhalten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüd*innen ab 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Lea Goldbrenner und ihre Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. In den 1930er-Jahren verließen Josef und Lea Goldbrenner Przeworsk und ließen sich in Berlin nieder, wo sie zunächst in einer Wohnung in der Ackerstraße 1a in Mitte unterkamen und sich ab 1934/1935 eine Dreizimmerwohnung im dritten Stock der Invalidenstraße 2a nahmen. Josef Goldbrenner war bei der Jüdischen Gemeinde angestellt und bestritt damit den Lebensunterhalt für sich, Lea und die noch im Haus verbliebenen Kinder. Willy, der inzwischen eine kaufmännische Ausbildung absolviert hatte, war noch im Jahr 1933 nach Frankreich emigriert, wo er die 1915 in Zduńska Wola geborene Estéra (Elsa genannt) Ciechanowska heiratete. Im November 1938 – vermutlich unter dem Eindruck der Pogrome im Juni und November desselben Jahres – konnte auch Max aus Deutschland entkommen, floh nach Frankreich und heiratete dort die 1917 geborene Lola Jassem. Die vierzehnjährige Sonja verließ 1939 Berlin und konnte sich in das britische Mandatsgebiet Palästina retten, wo sie 1945 den Polizisten Josef Mandel heiratete. Ob auch das Ehepaar Josef und Lea Pläne hatten, aus Deutschland zu entkommen, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Sollten sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese. Für das Ehepaar Goldbrenner wurde das Leben in Berlin zum reinen Existenzkampf. Immer mehr rassistische Gesetze und Sondererlasse drängten sie in die Position der Rechtlosigkeit. Ab Ende der 1930er-Jahre wurde Leas Ehemann fortwährend in verschiedene Konzentrationslager verschleppt und misshandelt. Am 13. September 1939 wurde er im Rahmen der zweiten sogenannten „Polenaktion“ 1939 in Berlin verhaftet und bis zum 2. September 1940 als „Schutzhäftling“ im KZ Sachsenhausen interniert, von dort aus am 3. September 1940 in das KZ Dachau überstellt, am 5. Juli 1941 weiter in das KZ Buchenwald verschleppt und am 11. März 1942 in die sogenannte „Landes-Heil- und Pflegeanstalt“ Bernburg an der Saale deportiert. In dieser Tötungsanstalt wurden zwischen 1940 und 1943 im Rahmen der Krankenmorde im Nationalsozialismus Menschen aus Fürsorge- und Pflegeeinrichtungen sowie rund 5000 Häftlinge aus sechs Konzentrationslagern ermordet. Der 51-jährige Josef Goldbrenner wurde nach der Ankunft des Transports in Bernburg in einer Gaskammer der Anstalt ermordet. In Berlin wartete Lea Goldbrenner vergebens auf die Rückkehr ihres Mannes, während immer weitere Bestimmungen ihr Leben einschränkten. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnte sie sich gemäß der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen.

Fast täglich schrieb sie – solange das möglich war – Briefe an ihre Tochter in Palästina. Erhalten hat sich eine Antwort auf eine Rote-Kreuz-Nachricht Sonjas aus dem Juni 1941. Darin schreibt Lea, der maximal 25 Wörter zur Verfügung standen: 

"Liebe Sonja, Mutti und Papa sind gesund. Papa noch im Lager. Willy u. Max geht es gut. Grosse Sehnsucht. Schreibe oft. Grüsse und Küsse Mutti“. 

Es war das letzte Lebenszeichen, das Sonja erreichte. Am 1. Oktober 1941 informierte die Gestapo die jüdische Gemeinde Berlins, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Lea erhielt den Deportationsbescheid noch im Winter 1941/1942. Sie hatte zuletzt ihre Wohnung in der Invalidenstraße 2a aufgeben müssen und ein Zimmer zur Untermiete bei Neumann in der Alten Schönhauser Straße 3 bezogen. Im Frühjahr 1942 musste sie auch diese Wohnung verlassen und wurde in einem der Berliner Sammellager interniert. Von dort aus wurde die 53-Jährige am 13. Januar 1942 mit dem 8. „Osttransport“ in das Ghetto Riga deportiert. Lea Goldbrenner wurde entweder unmittelbar nach der Ankunft, oder zu einem späteren Zeitpunkt in einem der Vernichtungslager ermordet. Sie gehörte in jedem Fall nicht zu den wenigen Überlebenden des Rigaer Ghettos.

Sonja Goldbrenner überlebte die NS-Verfolgung im Exil in Palästina. Willy Goldbrenner flüchtete nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich mit seiner Frau Elsa aus der nordfranzösischen Ortschaft Valenciennes nahe der belgischen Grenze nach Bergerac. 1942 kam ihr Sohn Jean-Claude zur Welt. Im Mai 1943 wurde die erneut schwangere Elsa verhaftet, im Sammellager Drancy interniert und von dort aus im August 1943 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo sie ermordet wurde. Willy wurde im März 1944 verhaftet. Nachdem ihm die Flucht aus dem Transportzug gelang, wurde er erneut verhaftet und im Juni 1944 nach Auschwitz deportiert, wo er als Häftling ins Lager selektiert wurde und unter unmenschlichen Bedingungen körperliche Schwerstarbeit („Vernichtung durch Arbeit“) verrichten musste. Willy überlebte, ebenso sein Sohn Jean-Claude, der versteckt bei seinen Großeltern und seiner Tante gelebt hatte. Auch Max Goldbrenner überlebte mit seiner Ehefrau Lola die NS-Verfolgung und lebte später mit den Kindern in Frankreich. Leas Bruder Alexander Scharfmann lebte seit 1913 in Frankreich. Alexander betrieb in Le Mans, wo er mit seiner Ehefrau Pauline, geb. Stölzer (*1903), und seinen Kindern Marie (*1930) und Jacques (*1931) lebte, ein Schneidergeschäft. Im Juli 1942 wurde Alexander verhaftet, im Lager Mulsanne und Angers interniert und 20. Juli 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo er am 6. Oktober 1942 ermordet wurde. Pauline, Marie und Jacques Scharfmann überlebten die NS-Verfolgung. Leas anderer Bruder Markus Scharfmann lebte mit seiner Ehefrau Fanny Stelzer und den Kindern William und Charlotte ebenfalls in Lille, bevor er am 27. Februar 1943 von der französischen Gendarmerie verhaftet und am 3. Juni 1943 vom Sammellager Drancy aus in das Vernichtungslager Sobibor deportiert und dort ermordet wurde. Fanny, William und Charlotte Scharfmann entgingen versteckt der Deportation und überlebten die NS-Verfolgung. Leas Bruder Jules, dessen Ehefrau Ernestine, geborene Berl (*1907) und deren Tochter Colette (*1930) überlebten die NS-Verfolgung; Ernestine war im KZ Bergen-Belsen und im Ghetto Theresienstadt interniert gewesen, wo sie im Mai 1945 von der Roten Armee befreit wurde. Das Schicksal von Leas weiterem Bruder Cherske Scharfmann bleibt im Verborgenen bis auf die Tatsache, dass er eine Tochter namens Sylvia hatte. Ebenso ist das Schicksal von Chana Scharfmann nicht geklärt. Sie war mit Sandor Lampel verheiratet und lebte in Przeworsk, wo zwei Töchter, Ita und Mali Lampel (*1924) geboren worden sind. Laut Familienangaben wurden die beiden Töchter nach Rawa-Ruska verschleppt und entweder dort oder im Vernichtungslager Belzec ermordet.