Walter Abrahamsohn

Verlegeort
Inselstraße 12
Bezirk/Ortsteil
Mitte
Verlegedatum
25. April 2014
Geboren
10. April 1909 in Berlin
Flucht
Flucht nach Frankreich
Verhaftet
in Drancy
Deportation
am 31. August 1942 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Walter Abrahamsohn wurde am 10. April 1909 in Berlin geboren. Er war der Sohn des aus Neidenberg (heute Nidzica, Polen) stammenden Kaufmanns David Abrahamsohn und dessen Ehefrau Margarete (genannt Greta) Löwenstein, verh. Abrahamsohn. Seine Eltern hatten 1906 in Berlin geheiratet und sich danach eine gemeinsame Wohnung in der Michaelkirchstraße 19 in der Berliner Innenstadt unweit der Spree gesucht. David arbeitete als Kaufmann in Berlin. Er war am Kaufhaus für Manufakturwaren H. Abrahamsohn in der Köpenicker Straße 111 beteiligt, das Hermann Max Abrahamsohn – vermutlich ein Verwandter, möglicherweise einem Onkel von Walter – in Berlin aufgebaut hatte. Zwei Jahre nach der Geburt von Walter kam sein jüngerer Bruder Rudolf Amos zur Welt.

Als der Erste Weltkrieg ausbrach, meldete sich Walters Vater zum Kriegsdienst und diente als Unteroffizier bei der Landwehr-Infanterie. An der Front erlitt er eine schwere Verletzung und kehrte als Kriegsinvalide in die Heimat zurück, wo er nur noch eingeschränkt arbeiten konnte und eine Kriegsbeschädigtenrente bezog. Dennoch war er weiterhin unternehmerisch tätig und gründete Ende der 1910er-Jahre mit Philipp Solms die Knopffabrik Ph. Solms & Co. GmbH, die ihren Firmensitz in der Köpenicker Straße 71 hatte.

Walters Mutter führte seit 1914 alleine das Textilwarenhaus in der Köpenickerstraße 111. 1919 zog die Familie in eine Fünfzimmerwohnung in der dritten Etage der Inselstraße 12 in Mitte. Im Haushalt half eine Angestellte, regelmäßig unternahm die Familie Reisen. Walters Eltern legten besonderen Wert auf die Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder. Walter begann nach dem Abitur ein Jurastudium und war zuletzt Referendar am Kammergericht Berlin. Rudolf begann nach seinem Schulabschluss eine Ausbildung in der Schallplattenindustrie bei der Deutschen Crystalate GmbH (nach 1933 Kristall Schallplatten GmbH) in Berlin-Reinickendorf. 

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüd*innen ab 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Walter Abrahamsohn und seine Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Am 1. April 1933 verschafften sich Rollkommandos der SA Zugang zum Kammergericht und zwangen „nicht-arische“ Juristen, Richter, Anwälte – darunter auch den Referendar Walter Abrahamsohn – das Gebäude zu verlassen. Die Geschehnisse dieses Tages wurden später anschaulich von Sebastian Haffner, damals ebenfalls Referendar an dem Gericht, beschrieben. Wenige Tage nach dem Gewaltakt wurde mit einer Rundverfügung zu jüdischen Rechtskandidaten vom 3. April und dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 die juristische Karriere und das Studium von Walter, der sich gerade auf das zweite Staatsexamen vorbereitete, beendet. Er verließ Berlin noch im selben Monat, ging zunächst in das südwestfranzösische Lagrasse am Fuß der Pyrenäen und später weiter nach Spanien, wo er für verschiedene Zeitungen journalistisch tätig wurde und Lagebilder in der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs (1936–1939) verfasste.

In Berlin waren seine Eltern unterdessen von antisemitischen Kampagnen, Boykotten und Ausschreitungen betroffen, die ihren sichtbarsten Ausdruck in den Pogromen im Juni und November 1938 in Berlin erfuhren. 1935 hatten David und Margarete ihre langjährige Wohnung in der Inselstraße 12 aufgeben müssen und waren in eine neue Wohnung in der Köpenicker Straße 108/109 gezogen. Im November 1938 wurde das Textilgeschäft der Abrahamsohns in der Köpenicker Straße 111 zerstört, geplündert und nicht viel später „arisiert“. Die Knopffabrik Davids, die unter treuhändischer Verwaltung stand, wurde aufgelöst. 1938 verließ Walters Bruder Rudolf Berlin. Er floh zunächst nach Österreich, im Krieg dann weiter nach Italien und Griechenland und erreichte schließlich 1941 Haifa im britischen Mandatsgebiet Palästina. Seine Mutter gelang im Mai 1939 Berlin zu verlassen und in das Vereinigte Königreich auszureisen. Ob auch Walters Vater die Ausreise anstrebte, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Er wurde zuletzt von einer Pflegerin in seiner Wohnung in der Köpenicker Straße 108/109 betreut, wo er mit seinem Schwager lebte, den er als Untermieter aufgenommen hatte.

Aus seiner Zeit in Spanien und später in Frankreich haben sich einige Briefe von Walter Abrahamsohn erhalten, die er an Liesel Veit schrieb und die einen detaillierteren Einblick in sein Leben im Exil und der anschließenden Zeit der Internierung geben. Die Geschwister Liesel und Hubert Veit lebten damals in Spanien und waren mit Walter befreundet. Der Ton der Korrespondenz lässt darauf schließen, dass Walter mit Liesel liiert war. Im Sommer 1936 verließ Liesel Barcelona und ging in ein Kibbuz in Palästina, während Walter in Spanien blieb. Er war dort Korrespondent verschiedener Zeitungen. Unter anderem schrieb er für niederländische Tageszeitungen und berichtete für die Jüdische Rundschau (JR) über die Ereignisse kurz vor und während der Revolution ab 1936. So erschienen von ihm in kurzer Folge unter anderem die Artikel „Unruhiges Spanien“, „Spanien im Bürgerkrieg“ und “Zur Lage der Juden in Spanien“ in der JR. In den Briefen an Liesel mischen sich die Ereignisse im revolutionären Spanien mit persönlichen Zeilen. So berichtet er von den mehr oder minder erfolgreichen Ausreiseplänen von Bekannten und Freunden, schreibt ihr von der Bewaffnung der Gewerkschaften und der Lage in Barcelona, schildert die Situation in der zionistischen Ortsgruppe Barcelonas, in der sie beide Mitglieder waren, und von der persönlichen Lage, in der er sich befand. Im September 1936 schrieb er an Liesel: 

„Wer weiß, am Ende komme ich auch noch [nach Palästina]. Denn wenn die Rechten siegen, müssen wir alle abhauen.“

1937 scheiterten die Bemühungen von Walter, Ausreisepapiere zu erhalten. Er schrieb:

„[…] Die Ereignisse der letzten Zeit waren etwas wild. Südamerika, Palästina, wegfahren, verbleiben, das ging alles durcheinander. Schließlich klappte es mit dem Zertifikat nicht und ich sitze plötzlich im Büro einer Fabrik fern von Barcelona, mitten im Gebirge, wo man vom Krieg gar nichts merkt.“ 

Aus seiner „Gebirgsresidenz“ schrieb Walter bis Februar 1938 mehrere Briefe an Liesel, in denen er das Leben dort als einsam, aber zufriedenstellend beschrieb. Dann riss der Kontakt für eine Weile ab: Im März 1938 wurde Walter wegen Spionageverdacht verhaftet und verbrachte elf Monate in Gefängnissen und Lagern. Im April 1939 schrieb er aus dem französischen Internierungslager Argelès-sur-Mer: 

„Am selben Tage, als Franco in Barcelona einmarschierte [26. Januar 1939], bin ich schließlich herausgekommen, habe den großen Massenauszug aus Katalonien mitgemacht [Flucht verbliebener Republikaner und Spanienkämpfer] und befinde mich jetzt in dem französischen Flüchtlingslager Argelès.“

Im Sommer 1939 wurde Walter in das Internierungslager Gurs am Fuße der Pyrenäen unweit von Bordeaux verlegt, wo – wie er schrieb – etwa „1200 deutsche und österreichische Spanienflüchtlinge, meistens Mitglieder der ehemaligen internationalen Brigaden“ in Holzbaracken einquartiert waren. 

„Wann und wohin ich von hier einmal rauskomme“, schrieb er, „ist mir reichlich schleierhaft. Es besteht eine schwache Chance, dass ich nach England gelange, […] denn meine Mutter ist seit Kurzem in London. […] Mein Vater ist in Deutschland […], mein Bruder in Athen […].“ Er fügt an: "Ja, die Welt ist wunderschön, und es wäre natürlich die einzig richtige Lösung gewesen, wenn du mich damals in den Koffer gepackt hättest. Aber das ist nun mal vorbei. Denn sonst könnten wir jetzt am Strand von Tel Aviv spazierengehen.“ 

Die letzten Hoffnungen auf ein Entkommen sollten sich für Walter mit dem Kriegsausbruch 1939 zerschlagen. Im April 1940 schrieb er an Liesel: 

„Nachdem ich 1. Jahr im Lager verbracht habe und meine Übersiedlung nach England durch den Ausbruch des Kriegs verhindert wurde, hat mich jetzt das Schicksal in eine Arbeitskompagnie verschlagen. Leben in Baracken, weitab von der Zivilisation, 10 Stundenarbeit, immer von Polizei und Soldaten bewacht, in der Calle Villaroel [Straße in Barcelona] war es schöner. Nur gut, dass der Mensch sich an alles gewöhnt. […] Wenn du noch bei der Polizei bist, kannst du dich vielleicht gelegentlich hierher versetzen lassen und mich ein bisschen bewachen.“

Danach brach die Korrespondenz entweder ab, oder es haben sich keine weiteren Briefe erhalten. Walter war zu diesem Zeitpunkt Teil der Arbeitskompagnie „252e Compagnie de Travailleurs“ (CTE), die zu Erdschanzarbeiten an der Verdun-Linie in Vorbereitung auf die deutschen Offensive zwangsverpflichtet war. Im Mai 1940 erfolgte der Angriff auf Frankreich, danach verlieren sich die Spuren Walter Abrahamsohns. Es ist anzunehmen, dass er weiterhin in Lagern im besetzten Frankreich interniert blieb, denn im August 1942 befand er sich im Sammel- und Durchgangslager Drancy rund 20 Kilometer nordöstlich von Paris. Er scheint zuvor im Internierungslager Bram im Süden Frankreichs interniert gewesen zu sein, wie es eine französische Transportliste nahelegt. Von Drancy aus wurde der 31-Jährige am 31. August 1942 mit dem „Convoy 26“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Walter Abrahamsohn wurde entweder unmittelbar nach der Ankunft in Auschwitz ermordet, oder er wurde zunächst als einer der zwölf männlichen Häftlinge des 1000 Personen umfassenden Transports ins Lager selektiert und zu einem späteren Zeitpunkt getötet. In jedem Fall gehörte er nicht zu den wenigen Überlebenden von Auschwitz.

Walters Mutter und sein Bruder Rudolf (später Amos Bardin genannt) überlebten die NS-Verfolgung im Exil – genauso wie Liesel und Hubert Veit. Sein Vater David wurde am gleichen Tag, an dem Walter aus Drancy verschleppt wurde, mit dem „53. Alterstransport“ aus Berlin in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er wenige Wochen später, am 24. September 1942 ermordet wurde.