Simon Katz

Verlegeort
Dortmunder Str. 13
Bezirk/Ortsteil
Moabit
Verlegedatum
11. September 2017
Geboren
21. Juli 1880 in Rotenburg a.d.Fulda
Deportation
am 03. März 1943 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Simon Katz wurde am 21. Juli 1880 in der osthessischen Stadt Rotenburg an der Fulda geboren. Er war der Sohn des Kaufmanns Mendel Katz (1840–1902) und dessen Ehefrau Bertha Beila Emmerich, verh. Katz (1838–1916). Sein Vater stammte ebenfalls aus Rotenburg – beziehungsweise aus dem damals noch eigenständigen Dorf Braach, das heute ein Stadtteil Rotenburgs ist – und hatte dort im Juni 1868 Simons Mutter geheiratet, die aus der nahegelegenen hessischen Kleinstadt Gudensberg kam. Simon war der jüngste von sechs Söhnen des Ehepaares, von denen allerdings die Brüder Nathan (*1873) und Levi (*1876) bereits im Kleinkindalter noch vor Simons Geburt verstarben. Auch sein ältester Bruder Benjamin (1869–1885) starb im noch jungen Alter von 15 Jahren, kurz vor Simons fünftem Geburtstag. Die Geschwister Karl und Levy Jakob kamen 1875 und 1878 zur Welt. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Simon Katz und seinen Geschwistern in Rotenburg während Kaiserzeit haben sich keine weiteren Quellen erhalten. Seine Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde der Stadt, die zum Zeitpunkt von Simons Geburt etwa 350 der rund 3100 Einwohner zählte und eine der größten jüdischen Kleinstadtgemeinden Hessens war. Vermutlich besuchten Simon und seine Geschwister die jüdische Elementarschule im Ort, die seit 1867 vom israelitischen Lehrer Jacob Cornelius geleitet wurde und an der 1890 gut 50 Kinder unterrichtet wurden.

Nach seinem Schulabschluss absolvierte Simon Katz eine Bäckerlehre und ließ sich anschließend im nordöstlich von Rotenburg gelegenen Eschwege nieder, wo er als Bäckermeister und Konditor tätig war. Dort heiratete er in den 1900er-Jahren Nanny (auch Nanchen genannt) Heß, die 1879 im hessischen Birstein geboren worden war, und nahm sich mit ihr eine gemeinsame Wohnung in der Sedanstraße 2 (heutige Schillerstraße). 1907 kam das erste Kind des Ehepaares zur Welt, dem sie den Namen Max gaben. Ein Jahr später folgte eine Tochter, Else. Im Jahr 1912 zog die kleine Familie um. Die neue Wohnung lag, unweit der alten, in der Bahnhofstraße 22, einem 1903 erbauten, viergeschossigen Jugendstil-Wohnhaus, das heute denkmalgeschützt ist. Simon ließ die im Hof befindliche Tischlerwerkstatt zu einer Backstube umbauen und richtete im bossiertem Sandstein-Erdgeschoss des Hauses ein bald florierendes Café ein – sowohl beliebt bei den Anwohnern als auch reichlich frequentiert von den Reisenden des nahegelegenen Bahnhofs. Die Familie Katz dürfte im Eschwege der Kaiserzeit und der Weimarer Republik zur gutbürgerlichen Mittelschicht gezählt haben. Max absolvierte nach seinem Schulabschluss eine kaufmännische Lehre, heiratete 1932 in Eschwege Lotte Cahn (*1903) und wurde Inhaber der Eschweger Firma Cahn & Co. Ob und welchen Beruf seine Schwester Else nach ihrem Abschluss ergriff, ist nicht bekannt.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüd*innen ab 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Simon Katz und seine Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Ab 1933 waren die Eheleute Katz außerdem auch als Café-Inhaber von antisemitischen Kampagnen, Boykotten und Ausschreitungen betroffen, die ihren sichtbarsten Ausdruck in den Pogromen im November 1938 erfuhren. Bereits im März 1933 hatte die SA und der „Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes“ antisemitische Flugblätter in Eschwege in Umlauf gebracht, die als großangelegte Propagandakampagne den Boykott jüdischer Unternehmen einleitete. Ab 1933 kam es auch zu ersten Übergriffen auf jüdische Bürger in der Stadt, die sich ab 1935 in Form von Misshandlungen und Inhaftierungen massiv verschärften. Die Eheleute Katz wurden nicht nur zum Ziel antisemitischer Anfeindungen in der Kleinstadt, sondern auch ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage beraubt.

Tochter Else ging 1936 nach Berlin, wo sie den Pädagogen Karl Eisemann heiratete und sich mit ihm eine gemeinsame Wohnung in der Dortmunder Straße 13 in Moabit nahm, wo im Dezember 1937 ihre Tochter Noemi zur Welt kam. Ende der 1930er-Jahre gelang es Max mit seiner Familie – seiner Ehefrau Lotte und seiner 1935 in Eschwege geborenen Tochter Inge – nach Südamerika zu fliehen. Sie schafften es über Paraguay, Brasilien und Argentinien bis 1940 in die USA. Ob auch Simon und Nanny in den 1930er-Jahren Pläne verfolgten, Deutschland zu verlassen, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Sollten sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese. 

Nach den Pogromen im November 1938 wurden alle Männer der jüdischen Gemeinde Eschweges in „Schutzhaft“ genommen – so auch der 58-jährige Simon Katz. Sie wurden im sogenannten Hochzeitshaus Eschwege interniert, wo sie sich körperlichen und psychischen Misshandlungen ausgesetzt sahen, bevor sie in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert wurden. Simon Katz war mit der Häftlings-Nr. 30275 mindestens von Ende November bis Mitte Dezember 1938 im KZ Buchenwald inhaftiert. Mehrere der aus Eschwege deportierten Juden überlebten die Lagerhaft oder deren Folgen nicht: So auch der Schwiegervater von Simons Sohn, der 75-jährige Selmar Cahn. Er starb unmittelbar nach der Entlassung an den Folgen der körperlichen Misshandlungen. Nach der Entlassung aus Buchenwald kehrte Simon Katz zunächst nach Eschwege zurück. In der Bahnhofsstraße fanden im Frühjahr 1939 andere jüdische Bürger Eschweges eine Bleibe, die ihre Wohnung infolge der Zwangsmaßnahmen verloren hatten. Im Dezember 1939 verließen Simon und Nanny Katz schließlich ihre hessische Heimatstad, in der sie vier Jahrzehnte zu Hause gewesen waren, und zogen nach Berlin – vermutlich, weil sie sich in der Anonymität der Großstadt einen besseren Schutz erhofften, und um ihrer Tochter und Enkelin nahe zu sein. Das Ehepaar bezog zunächst eine Wohnung in der Klopstockstraße 20 in Tiergarten, gab sie Ende 1941 wieder auf und bezog ein Zimmer zur Untermiete in der Wohnung ihrer Tochter in der Dortmunder Straße 13. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre wurde das Leben für die Familienmitglieder in Berlin zum reinen Existenzkampf. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich gemäß der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Sowohl Simon als auch seine Tochter und sein Schwiegersohn Karl wurden zu Zwangsarbeit herangezogen: Karl Eisemann, der zuvor Schulleiter der Volksschule der jüdischen Gemeinde Rykestraße gewesen war, als „Erdarbeiter“ für die Friedhofsverwaltung der Jüdischen Kultusvereinigung; Else Eisemann als Arbeiterin bei der Firma Martin Michalski – Uniformbetrieb in Friedrichshain und Simon Katz als Arbeiter bei der Maschinenfabrik Arthur Melaun in der Quitzowstraße 10 in Tiergarten.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 informierte die Gestapo die jüdische Gemeinde Berlins, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Im Oktober 1942 mussten Simon und Nanny miterleben, wie ihre Tochter aus der gemeinsamen Wohnung deportiert wurde. In einem späteren Brief an Max schilderte ein Nachbar die Situation: 

„Als ersten (sic!) wurde Herr Dr. Eisemann von der Gestapo abgeholt, daß war am Freitag und Montag ist Else freiwillig ihrem Manne nachgefolgt und ihr Kind wurde dann ein paar Stunden, da es noch geschlafen hatte von jüdischen Helferinnen abgeholt.“ 

Karl, Else und Noemi Eisemann wurden am 26. Oktober 1942 mit dem „22. Osttransport“ aus Berlin in das Ghetto Riga deportiert und ermordet. Simon und Nanny lebten noch bis März 1943 in Berlin, bis sie im Rahmen der „Fabrik-Aktion“, bei der die letzten offiziell in der Hauptstadt verbliebenen Juden deportiert werden sollten, im Frühjahr 1943 von der Gestapo verhaftet und in ein provisorisch hergerichtetes Sammellager in Berlin verschleppt wurden. Die Eheleute wurden getrennt: Simon Katz wurde am 3. März 1943 mit dem „33. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet; seine Ehefrau Nanny Katz einen Tag später, am 4. März, mit dem „34. Osttransport“. Simon war zum Zeitpunkt der Deportation 62 Jahre alt, Nanny 64.

Simons Sohn Max Katz überlebte die NS-Verfolgung mit seiner Ehefrau und seiner Tochter im Exil in den USA. Simons Bruder Levy Jakob Katz, der bis 1936 in Rotenburg eine Schuhmacherwerkstatt geführt hatte, wurde ebenso wie seine Ehefrau Bertha (*1879), geb. Neuhaus, und seine Tochter Trude Frieda (*1908) 1942 aus ihrem letzten Wohnsitz in Frankfurt am Main „in den Osten“ deportiert und ermordet – in welches der dortigen Vernichtungslager oder Ghettos sie verschleppt wurden, geht aus den vorhandenen Quellen geht nicht hervor. Levy Jakobs Sohn Meinhold Katz (*1906) gelang im September 1936 die Flucht mit seiner frischvermählten Frau Sophie Kanter, verh. Katz (*1905), in das britische Mandatsgebiet Palästina. Simons Bruder Karl Katz wurde mit seiner Ehefrau Bertha Bettie Strauß, verh. Katz (*1875), im September 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Während Bertha Bettie dort im März 1944 ermordet wurde, überlebte Karl die unmenschlichen Bedingungen in Theresienstadt bis zur Befreiung durch die Rote Armee am 8. Mai 1945 und stellte später einen Antrag im DP-Lager Deggendorf, zu seinem Sohn Max nach Palästina auswandern zu können.