Anna Caspary geb. Hirsch

Verlegeort
Dortmunder Str. 13
Bezirk/Ortsteil
Moabit
Verlegedatum
11. September 2017
Geboren
03. Februar 1903 in Berlin
Deportation
am 01. März 1943 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Anna Hirsch wurde am 3. Februar 1903 als Tochter des Kaufmanns Bernhard Hirsch (1869–1953) und seiner Frau Klara Baumgarten, verh. Hirsch, in Berlin geboren. Sie hatte eine ältere Schwester, Gerta (*1900), mit der sie gemeinsam aufwuchs. Die Familie lebte zunächst in einer Wohnung in der Lessingstraße 16 im Hansaviertel (heute überbaut) und zog 1908 nach Wilmersdorf in eine Wohnung in der Pariser Straße 24. Annas Vater war Miteigentümer der Herrenkleiderfabrik en gros Hugo Herrmann & Co., die in den 1920er-Jahren in der Spandauer Straße 41 firmierte. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Anna Hirsch und ihrer Schwester im Berlin der Kaiserzeit haben sich keine weiteren Informationen erhalten. Ihre Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde Berlins.

Die vorliegenden Zeugnisse geben auch keine Auskunft darüber, ob und welchen Beruf Anna Hirsch nach ihrem Schulabschluss ergriff. Am 23. Mai 1928 heiratete die 25-jährige Anna in Berlin den fünf Jahre älteren Juristen, Wirtschaftshistoriker und Schriftsteller Dr. Adolf Wolff Caspary. Adolf war 1898 als Sohn des Bildhauers und Mitbegründers der jüdischen Wohlfahrtspflege, Eugen Caspary (1861–1931), und Mathilde Caspary, geb. Daus (*1869), in Berlin zur Welt gekommen. Annas Ehemann war Schüler von Oskar Goldberg (1885–1953) und hatte sich in der Weimarer Republik mit verschiedenen Abhandlungen einen Namen gemacht. Zu seinen bekanntesten Schriften zählten „Die Maschinenutopie“ (1927), einer Kritik an der Fortschrittsgläubigkeit kapitalistischer und marxistischer Gesellschaften, sowie seine vielbeachtete militärökonomische Analyse „Wirtschaftsstrategie und Kriegsführung“ (1932). Durch die philosophische Gruppe von Goldberg – einem Intellektuellenzirkel der 1920er-Jahre – war das Ehepaar bekannt mit vielen bedeutenden Künstlern, Schriftstellern und Wissenschaftlern dieser Zeit, darunter Bertolt Brecht, Walter Benjamin, Robert Musil, Thomas Mann und Albert Einstein. Anna, die bis zur Hochzeit in der elterlichen Wohnung in der Pariser Straße gewohnt hatte, nahm sich mit Adolf Caspary eine gemeinsame Wohnung in der unweit gelegenen Württembergischen Straße 21/22. Die Ehe war jedoch von kurzer Dauer: Im März 1932 ließen sich die Eheleute scheiden. Annas einziges Kind, Ruth, war am 7. Juni 1929 zur Welt gekommen und wuchs nach der Trennung bei ihrer Mutter auf. Anfang bis Mitte der 1930er-Jahre lebten Anna und Ruth in einer Zweieinhalbzimmerwohnung in der Kaiserin-Augusta-Straße 50 in Tempelhof. Ihr Lebensstandard dürfte im Bereich des gutbürgerlichen Berliner Niveaus gelegen haben. Aus den späteren Vermögensaufstellungen, die Anna Caspary zwangsweise abgeben musste und anhand derer der nationalsozialistische Staat ihr Vermögen Stück für Stück beschlagnahmte, ist ersichtlich, dass sie Ende der 1920er-Jahre Immobilien im Grunewald besaß – ein 3600 Quadratmeter großes Baugrundstück an der Fontanestraße 1 – welches sie 1934 parzelliert verkaufte, sowie erhebliche Vermögenswerte in Wertpapieren, die ihr allerdings in den 1930er-Jahren auf Sperrkonten nicht mehr frei zur Verfügung standen.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüd*innen ab 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Anna und ihre Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden, Anfang der 1930er-Jahre nahm die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen jedoch massiv zu. Ab 1933 institutionalisierte sich der Rassismus mit Hilfe staatlicher Autorität. Gesetze und Sondererlasse drängten Anna Caspary zunehmend in die Position einer Rechtlosen im eigenen Land. Schwester Gerta und Vater Bernhard schafften es in den 1930er-Jahren, aus Deutschland in das britische Mandatsgebiet Palästina zu entkommen und auch ihr geschiedener Ehemann, der sich eine Zeitlang mit Oskar Goldberg in Italien aufgehalten hatte, gelang noch 1941 über Marseille und Lissabon die Flucht in die USA. Ob Anna in den 1930er-Jahren ebenfalls Pläne verfolgte, mit ihrer Tochter aus Deutschland zu fliehen, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Sollte sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese. 1935 zogen die Casparys in eine Wohnung in der Dortmunder Straße 13 im Westfälischen Viertel in Moabit und von dort aus – wohl 1939/1940 – in eine Anderthalbzimmerwohnung in der Charlottenburger Wielandstraße 37 bei Böhm zur Untermiete. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre wurde das Leben für Anna Caspary und ihre Tochter in Berlin zum reinen Existenzkampf. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich gemäß der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. In den 1940er-Jahren wurde Anna Caspary außerdem zu Zwangsarbeit herangezogen – zuletzt als Arbeiterin bei der Firma C. Pose, die in der Boxhagener Straße 16 Wehrausrüstung herstellte.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 informierte die Gestapo die jüdische Gemeinde Berlins, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Im Frühjahr 1943 wurde Anna Caspary im Rahmen „Fabrik-Aktion“, bei der die letzten offiziell in der Hauptstadt verbliebenen Juden deportiert werden sollten, von der Gestapo an ihrem Arbeitsplatz verhaftet und in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 verschleppt. Von dort aus wurde sie am 1. März 1943 mit den sogenannten „31. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort – vermutlich unmittelbar nach der Ankunft des Transports – ermordet.

Annas Tochter Ruth wurde von ihrer verwitweten Großmutter väterlicherseits, Mathilde Caspary, aufgenommen und lebte mit ihr bis Anfang 1944 in Schöneberg in der Geisbergstraße 33 zur Untermiete bei Graetz. Am 9. Februar 1944 wurden Mathilde und Ruth Caspary in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie am 23. Oktober 1944 getrennt wurden und die fünfzehnjährige Ruth aus dem Ghetto weiter in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet wurde. Mathilde Caspary erlebte die Befreiung von Theresienstadt und emigrierte später zu ihrem Sohn Adolf Caspary in die USA. Von den Familienangehörigen von Anna Caspary haben, neben ihrem Ex-Ehemann und ihrer Schwiegermutter in den USA, auch ihre Schwester und ihr Vater im Exil in Palästina überlebt.