Eva Lilienthal

Verlegeort
Bornstr. 1
Bezirk/Ortsteil
Friedenau
Verlegedatum
30. April 2024
Geboren
10. Juni 1930 in Berlin
Beruf
Schülerin
Flucht
1939 als Kind mit den Eltern nach Shanghai
Überlebt

Eva Lilienthal wurde am 10. Juni 1930 in Berlin Schöneberg geboren. Ihre Eltern – der jüdische Kaufmann Alfred Lilienthal (* 4.12.1889 in Minden) und die evangelische Johanne, geb. Beckmann (* 3.12.1900 in Hesepe, Kreis Oldenburg) - hatten 1923 in Aachen geheiratet. Evas Mutter Johanne war Stenotypistin und Kontoristin, Evas Vater Alfred war im Speditionsgeschäft tätig. Seine Aachener Firma beorderte ihn 1923 nach Berlin. Evas Eltern gingen also in die Hauptstadt, wo sie zunächst zur Untermiete wohnten und 1928 eine "eigene" Mietwohnung in der Belziger Str. 5 in Schöneberg bezogen. 

1932 wurde Evas Vater  Geschäftsführer der Firma  „Transhollandia – Internationale Transportgesellschaft“. Dies ermöglichte vermutlich der Familie den Umzug in eine Vierzimmer- Wohnung in der Bornstr. 1 in Friedenau.  

1936 wurde Eva in die Rheingauschule in Friedenau eingeschult. Es kann vermutet werden, dass Eva  als Kind einer jüdischen Familie bereits Ausgrenzung zu spüren bekam.  Aber dramatisch änderte sich die Situation der Familie ab 1937 : Ihr Vater Alfred wurde  als Geschäftsführer von seinem Arbeitgeber freigestellt und am 1. Juni 1938 endgültig gekündigt. Es gab einen Erlass des Reichswirtschaftsministeriums vom 31.05.1938, laut dem keine Aufträge mehr an Juden/jüdische Unternehmen vergeben werden durften. Dies bedeutete Arbeitslosigkeit und ohne monatliches Einkommen zu sein.  Weder seine Teilnahme als Frontsoldat im Ersten Weltkrieg noch das 1935 an ihn verliehene „Ehrenkreuz für Frontkämpfer“ schütze den Vater vor Repressalien. 1938 musste Eva von der Schule abgemeldet werden. Im Oktober 1938 wurde der Personalausweis von Evas Vater eingezogen. Am 10. November 1938 wurde der Vater nach dem Pogrom verhaftet und in das KZ Sachsenhausen verschleppt. Gegen Zahlung einer größeren Summe als „Judenvermögensabgabe“ wurde Evas Vater freigelassen mit der Auflage, Deutschland so rasch wie möglich zu verlassen.

So bestiegen die achtjährige Eva und ihre Eltern am 18. April 1939 in Bremerhaven das Passagierschiff „Scharnhorst“ und flüchteten aus Deutschland. Ziel war der einzig für Juden noch visafrei zugängliche Hafen in Shanghai. Als Ankunftsadresse in Shanghai hatte Evas Vater Alfred Lilienthal Melchers & Co., 210 Kiukiang Road, P.O.B. 1004 angegeben.  Diese Straße galt in den 1920er Jahren als Handelszentrum europäischer Unternehmen und Banker und wurde als „Wallstreet of the East“ betrachtet. 

Tatsächlich war das Leben in Shanghai für die Emigranten nicht einfach. An einen geordneten Schulbesuch für Eva war nicht zu denken – schon gar nicht an einen Abschluss, der den Zugang zu qualifizierter Ausbildung oder Arbeit ermöglicht hätte. Nur für kurze Zeit konnte Eva in einer von Emigranten eingerichteten „Privatschule“ weiter lernen,  an der nur teilweise ausgebildete Lehrkräfte unterrichteten. 

1943 besetzten die Japaner Shanghai. Spätestens ab diesem Zeitpunkt standen lediglich die chinesischen Volksschulen zur Verfügung. Außerdem wurden alle chinesischen und jüdischen Flüchtlinge in ein Ghetto eingewiesen. Eva und ihre Mutter wurden so von Alfred getrennt. Das Ghetto durfte nur mit Passierschein verlassen werden.  Evas Eltern wurden in das Deutsche Generalkonzulat einbestellt, wo Evas Mutter Johanne die Ehescheidung von Alfred nahegelegt wurde. Ihrer Mutter wurde im Gegenzug die Rückkehr nach Deutschland angeboten. Johanne lehnte ab.  So blieben Eva und ihre Mutter in Shanghai, aus wenn sie für längere Zeit nicht mehr mit dem Vater zusammenleben konnten.

Mit der Besetzung von Shanghai durch die Amerikaner 1945 konnte die Familie wieder gemeinsam wohnen. Eva nahm schließlich eine Stelle als ungelernte Verkäuferin in einem Herren-Artikel-Geschäft an. Die Familie bemühte sich um Rückkehr nach Deutschland, aber erst im November 1950 konnten Eva und ihre Mutter Johanne Shanghai verlassen. Vater Alfred konnte erst Ende Dezember ausreisen und wurde nach seiner Ankunft im Januar 1951 als Staatenloser  in das Lager Föhrenwald in Bayern eingewiesen. Erst im August konnte Alfred Lilienthal nach Berlin zurückkehren.

Eva und ihre Mutter waren zu diesem Zeitpunkt bereits nach Wiesbaden gezogen. Eva hatte auf der Rückreise per Schiff nach Deutschland Jürgen Kurt Jedicke kennengelernt. Beide fanden Arbeit bei der US-Army und Eva konnte so den Lebensunterhalt für sich und die Mutter verdienen. Eva sprach aufgrund ihres langen Aufenthaltes in Shanghai recht gut Englisch und absolvierte zusätzlich Kurse in englischer Kurzschrift und Schreibmaschine.  1954 heiratete Eva Lilienthal ihren Verlobten Jürgen Kurt Jedicke. 1955 wurde das erste Kind, ihr Sohn Peter geboren. 1956 wanderte das junge Paar mit dem inzwischen einjährigen Sohn Peter und der Mutter Johanne nach Kanada aus. Dort wurden zwei weitere Kinder geboren.

Eva und ihre Mutter blieben in engem Kontakt mit Alfred und kehrten zu Besuchen in ihre alte Heimatstadt Berlin zurück. 
Evas Eltern starben beide im Juni 1970, der Vater in Berlin, die Mutter in Kanada.