Josef Leven

Location 
Solinger Straße 10
District
Moabit
Stone was laid
September 2003
Born
05 November 1879 in Krefeld
Murdered

Josef Leven wurde am 5. November 1879 im niederrheinischen Crefeld (seit 1925 Krefeld) geboren. Die „Samt- und Seidenstadt“ war im 18. und 19. Jahrhundert aufgrund ihrer Textilproduktion zu einer der reichsten Städte Preußens geworden. Josef Leven war der jüngste Sohn des Kaufmanns Alexander Leven (1833–1902) und Klara Kahn, verh. Leven (1836–1896). Sein Vater stammte gebürtig aus Crefeld, seine Mutter aus dem großherzoglich hessischen Mainz. Sie hatten in den 1860er-Jahren geheiratet und sich in Crefeld niedergelassen. Josef wuchs im Kreis von drei Geschwistern auf: Sein Bruder Emil war 1864 in Crefeld zur Welt gekommen, seine Schwestern Rosa und Fryda in den Jahren 1867 und 1871. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Josef Leven und seinen Geschwistern in Crefeld haben sich keine weiteren Quellen erhalten. Seine Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde der Stadt, die zum Zeitpunkt von Josefs Geburt 1500 der etwa 75000 Einwohner zählte. Als Josef zwölf Jahre alt war, starb sein älterer Bruder Emil, der wenige Monate zuvor als Kontorist nach Ägypten gezogen war.

Nach seinem Schulabschluss absolvierte Josef eine kaufmännische Ausbildung. Im Oktober 1900 meldete er sich als „Einjährig-Freiwilliger“ zum Militärdienst, schloss diesen 1901 als Gefreiter ab und verpflichtete sich anschließend zum Dienst bis zum September 1903 in der Armee, die er als Unteroffizier verließ. In den 1900-Jahren zog Josef nach Charlottenburg (damals noch ein eigenständiger Vorort vor den Toren Berlins) wo er in der Schillerstraße 33 (entspricht ungefähr der heutigen Nr. 27) lebte. Am 14. April 1910 heiratete er die zweieinhalb Jahre jüngere Bertha Landsberger. Bertha war gebürtige Berlinerin und 1882 als Tochter des Kaufmanns Sigismund und dessen Ehefrau Amanda Landsberger, geb. Neumann, geboren worden. Nach der Eheschließung nahmen sich Josef und Bertha Leven eine Wohnung am Eyke-von-Repkow-Platz 1 im Westfälischen Viertel Moabits. Am 4. November 1911 kam ihre Tochter, Helga zur Welt.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde Josef mobilisiert. Er wurde als Sergeant unter anderem bei der Schlacht von Étain im August 1914 und bei den Gefechten um Vaubecourt-Fleury im September desselben Jahres eingesetzt, wurde 1916 zum Leutnant befördert und nahm an den Stellungskämpfen vor der Festung Verdun und in Lothringen teil. Für seinen Einsatz wurde er mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse und dem Bayerischen Militärverdienstkreuz 4. Klasse mit Schwertern ausgezeichnet. Nach Kriegsende wurde Josef am 30. November 1918 aus dem aktiven Kriegsdienst entlassen und kehrte nach Berlin zurück. Bereits 1915 waren Josef und Bertha in eine neue Wohnung in der Regensburger Straße 14 in Wilmersdorf gezogen, wo Josef als Handelsvertreter und Kaufmann zu arbeiten begann. In den 1920er-Jahren legte er das Revisorenexamen ab und war zeitweilig als Wirtschaftsprüfer und Revisionsbeamter tätig. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen tieferen Einblick in das Leben von Josef und Bertha Leven im Berlin der Weimarer Republik geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüd*innen ab 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Josef Leven und seine Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung sowie des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden, Anfang der 1930er-Jahre nahm die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zu. Ab 1933 institutionalisierte sich der Rassismus mit Hilfe staatlicher Autorität. Gesetze und Sondererlasse drängten Josef zunehmend in die Position eines Rechtlosen. 

In den 1930er-Jahren war er als Handelsvertreter der Firma Eduard Pincuß beschäftigt. Das Unternehmen war einer der führenden Hersteller für Armaturen in Europa und wurde seit 1910 von Josefs Schwager, Arthur Landsberger, als Alleininhaber geführt. Die Fabrik für Gas- und Wasserleitungsgegenstände lag in der in der Großen Frankfurter Straße 13 (heute Karl-Marx-Allee). Ende der 1930er-Jahre wurde Arthur Landsberger zwangsweise aus dem Unternehmen gedrängt und Josef aus rassistischen Gründen entlassen. Aus einem handschriftlichen Nachtrag in seiner Kriegsstammrolle geht hervor, dass er sich im April 1936 auf dem Polizeipräsidium Berlin-Schöneberg hatte einfinden müssen. Aus der Notiz geht aber nicht hervor, ob er bereits zu diesem Zeitpunkt ein erstes Mal inhaftiert worden war. Seine Tochter, die zuvor in Bad Kreuznach als Haushaltshilfe gelebt hatte, gelang es – vermutlich Ende der 1930er-Jahre – aus Deutschland zu fliehen. Sie ging in die Niederlande, wo sie später an der Adresse De Lairessestraat 133 in Amsterdam lebte und den Überfall der Wehrmacht auf das Land miterleben musste. Im März 1939 mussten Josef und Bertha ihre langjährige Wohnung in der Regensburger Straße 14 aufgeben und zogen in die Solinger Straße 10 in Moabit. Ab diesem Zeitpunkt lassen sich die genauen Stationen der Verfolgungsgeschichte von Josef Leven aus den vorliegenden Quellen nicht rekonstruieren. Nachgewiesen ist, dass er im Sommer 1942 im Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg inhaftiert gewesen ist und seit 1940 nicht mehr in den Berliner Adressbüchern geführt wurde. Er wurde vermutlich Ende des Jahres 1939 oder Anfang der 1940er-Jahre verhaftet und entweder direkt nach Neuengamme verschleppt oder zunächst in anderen Konzentrationslagern als Zwangsarbeiter inhaftiert, in denen nach den Vorgaben der „Vernichtung durch Arbeit“ auf die Ermordung der Inhaftierten mittels Schwerstarbeit und mangelnder Versorgung abgezielt wurde. Laut Totenschein, der nach der mündlichen Anzeige des Gestapobeamten Otto Apenburg – Leiter der politischen Abteilung im KZ Neuengamme zwischen 1942 und 1945 – angefertigt wurde, starb Josef Leven am 22. Juni 1942 in Hamburg-Neuengamme um 7.20 Uhr in der Frühe an den Folgen einer Darmblutung. Alles an diesem Dokument diente der Verschleierung der tatsächlichen Todesumstände. Angehörige sollten keine Rückschlüsse auf Sterbeort und -umstände ziehen können.

Im April 1942 hatte eine SS-Ärztekommission eine Gruppe von etwa 300 Häftlingen des KZ Neuengamme zusammengestellt: Unter ihnen hatten sich Kranke und Entkräftete, aber auch politisch Missliebige und viele Juden befunden. In der Rubrik „Diagnose“ auf dem Meldebogen finden sich unter anderem Eintragungen wie „Deutschenfeind“ und „berüchtigter Kommunist“. Der 63-jährige „Hilfsarbeiter“ Josef Leven gehörte zu den Selektierten dieses Transports. Die Ausgewählten wurden kurze Zeit später aus Hamburg in die sogenannte „Landes-Heil- und Pflegeanstalt“ in Bernburg an der Saale deportiert. In der Tötungsanstalt wurden zwischen 1940 und 1943 im Rahmen der Krankenmorde im Nationalsozialismus Menschen aus Fürsorge- und Pflegeeinrichtungen sowie rund 5000 Häftlinge aus sechs Konzentrationslagern ermordet. Josef Leven wurde nach der Ankunft des Transports aus Neuengamme im Juni 1942 vom Anstaltsarzt gemustert, auf Goldzähne untersucht und anschließend in einer Gaskammer in Bernburg mit Kohlenstoffmonoxid ermordet.

Seine Ehefrau Bertha hatte bis Anfang 1942 in Berlin gelebt, ab März 1940 in der Schöneberger Martin-Luther-Straße 55 und ab April 1941 zur Untermiete bei Heinrich in einem Zimmer in der Pestalozzistraße 88a in Charlottenburg. Am 1. Oktober 1941 informierte die Gestapo die jüdische Gemeinde Berlins, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Bertha erhielt den Deportationsbescheid im Winter 1941. Sie musste sich in einem der Berliner Sammellager einfinden und wurde am 13. Januar 1941 mit dem „8. Osttransport“ aus Berlin in das Ghetto Riga deportiert. Sie gehörte nicht zu den wenigen Überlebenden des Ghettos und wurde entweder in Riga ermordet oder zu einem späteren Zeitpunkt in einem der Vernichtungslager. Josefs Tochter Helga wurde in den Niederlanden verhaftet und im Sammellager Westerbork inhaftiert. Sie wurde von dort aus am 30. September 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet.

Josefs Schwester Rosa Moses war bereits 1933 in Aachen verstorben, ihr Ehemann David Moses (*1863) schon 1910. Deren Sohn Isaak Emil Moses (*1896) gelang es mit seiner Ehefrau Elke, geb. Elkan (*1890), Deutschland in den 1930er-Jahren zu verlassen. Sie überlebten die NS-Verfolgung im Exil und lebten später in den USA. Ein zweiter Sohn von Rosa, Fritz Moses (*1901), war 1938 in die Niederlande geflohen. Er wurde später in Westerbork interniert, von dort aus im September 1944 zunächst in das Ghetto Theresienstadt, dann weiter in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und am 4. November 1944 in einem der Außenlager in Gleiwitz ermordet. Josefs zweite Schwester Fryda Moses war 1921 in Aachen gestorben, ihre vierjährige Tochter Klara im Dezember 1907 und ihre Ehemann Jacob Moses (*1865) im Januar 1939 ebenfalls in Aachen.