Gertrud Conitzer née Jakob

Location 
Krefelder Straße 7
District
Moabit
Stone was laid
30 November 2013
Born
19 May 1892 in Schwetz / Swiecie
Deportation
on 12 January 1943 to Auschwitz
Murdered
in Auschwitz

Gertrud Jakob wurde am 19. Mai 1892 im westpreußischen Schwetz (heute Świecie, Polen) geboren. Die Kleinstadt liegt an der Mündung der Schwarzwasser in die Weichsel, etwa 40 Kilometer nordöstlich von Bromberg (Bydgoszcz). Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Gertrud Jakob sind kaum Informationen erhalten. So ist auch nicht bekannt, ob Gertrud im Kreis von Geschwistern aufwuchs oder das einzige Kind ihrer Eltern blieb. Nach aller Wahrscheinlichkeit gehörten ihre Eltern aber zur kleinen jüdischen Gemeinde der Stadt, die zum Zeitpunkt von Gertruds Geburt rund 500 der etwa 6700 Einwohner zählte.

Am 15. März 1914 heiratete die 21-jährige Gertrud in Riesenburg (Prabuty) den 18 Jahre älteren Arthur Aron Conitzer. Ihr Ehemann, der 1874 in Jeschewo (Jeżewo) geboren wurde, stammte aus einer weitverzweigten Kaufmannsfamilie, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Warenhauskette Conitzer & Co. etabliert hatte. Das erste Kaufhaus war 1882 von Moses Conitzer – einem der Brüder von Arthurs Vater – in Marienwerder (Kwidzyn) zusammen mit seinen Söhnen Nathan, Alex und Hermann eröffnet worden. Bald folgten weitere Geschäftseröffnungen durch Familienmitglieder in anderen Städten, so dass der Konzern in den folgenden Jahrzehnten mit 22 Filialen auf einen großen Teil Deutschlands von Westpreußen bis Osnabrück, südlich bis nach Coburg ausdehnte. Die konzerneigene Einkaufszentrale befand sich in Berlin. Von 1902 bis 1920 führte Arthur gemeinsam mit seinen Brüdern Sally und Israel Conitzer sowie seinem Schwager Nathan Arendt das Warenhaus Conitzer & Co. in Goßlershausen (Jabłonowo Pomorskie). Gertrud wurde in das Familienunternehmen eingebunden und sollte später die Geschäftsführung eines Ladengeschäfts übernehmen.

Im Mai 1915 wurde Lieselotte Conitzer, das erste Kind des Ehepaares, in Danzig (Gdańsk) geboren, verstarb jedoch noch im Kleinkindalter am 2. April 1916 im Anwesen der Familie in Goßlershausen. Im Dezember 1917 folgte die Geburt von Ursula Brigitte Conitzer in Thorn (Toruń) und am 21. August 1919 von Ruth Erika Conitzer in Goßlershausen. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde Goßlershausen nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages 1920 polnisch und die Familie verließ die Stadt. Gertrud ging mit ihrem Ehemann und ihren zwei Töchtern nach Tangermünde an der Elbe im heutigen Sachsen-Anhalt, wo Arthur ein neues Kaufhaus aufbaute. 

Das Geschäft lag zunächst in gepachteten Räumen in der Langen Straße 35 in der Innenstadt, war modern eingerichtet und bald die erste Adresse für Haushalts- und Manufakturwaren sowie Herren- und Damenkonfektion in der Stadt. Im Winter wurden auch Spielwaren geführt. Bis zu 30 Angestellte waren im Kaufhaus beschäftigt, das der Familie einen gehobenen Lebensstandard sicherte. 1929/1930 erwarben die Conitzers ein Grundstück gegenüber der Sankt Stephanus Kirche in der Langen Straße 41. In dem Haus wurde ein zweites Kaufhaus als Einheitspreisgeschäft eingerichtet. Dieses Geschäft wurde von Gertrud geleitet. 1932 erweiterten die Conitzers den Bau des Grundstücks Lange Straße 41 und verlegten das erste Kaufhaus an diese Adresse. Das Einheitspreisgeschäft bildete nunmehr einen Teil des Kaufhauses. Im selben Haus lag die elegant eingerichtete Siebenzimmerwohnung der Conitzers im obersten Stockwerk. Gertrud und Arthur Conitzer legten besonderen Wert auf die Erziehung ihrer Töchter. In der Wohnung gab es neben vielen Kunstgegenständen und einer modern ausgestatteten Bibliothek auch ein Musikzimmer, in welchem sich die Familienmitglieder zur gemeinsamen Hausmusik versammeln konnten. Ein Kindermädchen, ein Dienstmädchen und eine Köchin halfen bei der Haushaltsführung. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Familienleben in der Zeit der Weimarer Republik geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüd*innen ab 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Gertrud Conitzer und ihre Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Seit 1933 waren die Conitzers als Geschäftsinhaber zudem von antisemitischen Kampagnen, Boykotten und Ausschreitungen betroffen, die ihren sichtbarsten Ausdruck in den Pogromen im November 1938 erfuhren. Bereits im August 1933 hatte sich das gewaltsame Potential in der Stadt gezeigt, als SA-Männer etwa 100 Mitglieder der Arbeiterorganisationen zusammentrieben und misshandelten. Menschen, die der rassenideologischen Vorstellung einer NS-Volksgemeinschaft nicht entsprachen, waren in einer Kleinstadt wie Tangermünde besonders exponiert. Das Geschäft der Conitzers wurde in den 1930er-Jahren immer wieder zum Ziel rassistischer Übergriffe. SA-Posten versperrten der Kundschaft den Eintritt, der Verkauf ging spürbar zurück. Ende 1938 mussten Arthur und Gertrud schließlich das Kaufhaus zwangsweise weit unter seinem Wert verkaufen. Ihre Tochter Ursula schilderte später die Situation: 

„Infolge des Judenboykotts wurde das Geschäft nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten immer schlechter. Es standen häufig Boykottposten vor der Tür und die Zahl der Angestellte wurde immer kleiner […]. Ich erhielt von meinen Eltern noch 1938 die Nachricht, dass sie das Geschäft in Tangermünde verkauft hätten und dass sie da sie es in dem kleinen Ort als Juden nicht aushalten könnten nach Berlin gezogen seien.“

Ursula Conitzer hatte in den 1930er-Jahren noch eine Ausbildung bei einer Bank begonnen, bevor sie diese zwangsweise abbrach und sich seit 1936 in verschiedenen Hachschara-Lagern auf eine Auswanderung nach Palästina vorbereitete. Ende Oktober 1937 bezahlten ihre Eltern ihr und ihrem künftigen Ehemann, Manfred Frankenstein, den sie im Februar 1938 in Italien heiratete, die Kosten ihrer Auswanderung. Ihre Route führte über Florenz und Triest in das britische Mandatsgebiet Palästina, wo im November 1938 ihre Tochter Ester zur Welt kam. Gertruds andere Tochter Ruth Erika bereitete sich ebenfalls in Hachschara-Lagern auf eine Auswanderung vor – zuletzt im Gut Winkel in Brandenburg – schaffte es aber mit ihrem 1940 angetrauten Ehemann Max Lindenstrauß nicht mehr rechtzeitig, aus Deutschland zu fliehen. Ob auch Gertrud und Arthur in den 1930er-Jahren Pläne verfolgen, das Land zu verlassen, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Sollten sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese.

Nachdem das Ehepaar Conitzer Ende der 1930er-Jahre nach Berlin übergesiedelt waren, kamen sie zunächst in einer Wohnung in der Grüntaler Straße 37 in Wedding unter und später in einer Dreizimmerwohnung in der Krefelder Straße 7 in Tiergarten. Die Anonymität der Großstadt bot allerdings nur vorübergehend Schutz. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre wurde das Leben der Conitzers in Berlin zum reinen Existenzkampf. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich gemäß der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 informierte die Gestapo die jüdische Gemeinde Berlins, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Gertrud und Arthur erhielten den Deportationsbescheid im Frühjahr 1943. Kurz zuvor hatten sie noch eine Nachricht von ihrer Tochter aus Israel erhalten. Im November 1942 schrieb Ursula in einem Rote-Kreuz-Telegramm, das maximal 25 Wörter erlaubte, dass Manfred eine Anstellung bei einer Krankenkasse gefunden hatte, gratulierte Gertrud zum 50. Geburtstag und teilte mit, dass Ester jetzt im Kindergarten sei. Das Antwortschreiben vom 17. Dezember 1942 aus der Krefelder Straße war das letzte Lebenszeichen, das Ursula von ihrer Familie erhielt. Darin hieß es:

„Überglücklich, dankbar für Nachricht. Gratulieren innigst. […] Unser Gesundheitszustand leidlich. Ruth, Max gesund. Erbitten baldigst Nachricht. Wünschen alles Gute. Esterchen Kräftiges Gedeihen. Eltern, Geschwister.“

Kurz nach der Sendung des Telegramms müssen Gertrud und Arthur in das Jüdische Krankenhaus in der Iranischen Straße 2 in Wedding gekommen sein. Von dort aus wurden die Ehepartner am 8./9. Januar 1943 in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 verschleppt und am 12. Januar 1943 mit dem „26. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo sie – vermutlich unmittelbar nach Ankunft des Transports – ermordet wurden. Gertrud Conitzer war zum Zeitpunkt der Deportation 50 Jahre alt, ihr Ehemann Arthur 68.

Ruth Erika Lindenstrauß und ihr Ehemann Max wurden im Frühjahr 1943 im ehemaligen Hachschara-Lager Gut Winkel verhaftet und am 1. März 1943 nach Auschwitz deportiert, wo Ruth ermordet wurde. Max Lindenstrauß wurde als Arbeitshäftling in das Lager selektiert, später in das Konzentrationslager Natzweiler-Struthof weiterdeportiert, kam am 16. November 1944 in das KZ-Außenlager Hailfingen-Tailfingen und Vaihingen an der Enz, wo er am 6. März 1945 ermordet wurde. 

Aus Recherchen eines in den USA lebenden Nachfahren der Conitzers geht hervor, dass etwa 400 Mitglieder des weiteren Familienumkreises Conitzer unter den Nationalsozialisten interniert, deportiert und später ermordet wurden. Die verbliebenen Nachfahren leben über die ganze Welt verstreut.