Anna Israel née Schmul

Location 
Jagowstraße 44
District
Moabit
Stone was laid
30 March 2013
Born
27 February 1871 in Działdowo / Soldau
Deportation
on 27 July 1942 to Theresienstadt
Later deported
on 26 September 1942 to Treblinka
Murdered
in Treblinka

Anna Schmul wurde am 27. Februar 1871 in der ostpreußischen Ortschaft Soldau (heute Działdowo, Polen) geboren, einer Kleinstadt am Nordufer des Flusses Soldau (Działdówka) rund 75 Kilometer südwestlich von Allenstein (Olsztyn). Anna war die Tochter von Simon und Ernestine Schmul, geb. Goldberg. Sie wuchs im Kreis von mindestens drei Geschwistern auf: Ihre ältere Schwester Sara kam 1866 in Soldau zur Welt, 1875 ihre Schwester Metha und 1879 ihr Bruder Isidor (in späteren Dokumenten auch Isidor Samuel). Zwei weitere Geschwister, Arthur (*/†1878) und Rose (1874–1878), starben kurz nach der Geburt oder im Kleinkindalter. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Anna Schmul und ihren Geschwistern in Soldau haben sich leider keine weiteren Quellen erhalten.

Am 13. September 1895 heiratete die 24-jährige Anna den wenige Monate älteren Kaufmann Adolf Aron Israel, genannt Aron. Aron war 1870 im ostpreußischen Darkehmen (heute Osjorsk, Russland) als Sohn des Essigfabrikanten Salomon und dessen Ehefrau Doris Israel, geb. Wohlgemuth, zur Welt gekommen. Nach der Hochzeit ließen sich die Eheleute zunächst in Bischofswerder (Biskupiec) nieder, wo im Juli 1896 ihr erstes Kind, Siegfried Israel, geboren wurde, und zogen anschließend in die Ortschaft Tiegenhof (Nowy Dwór Gdański) südöstlich von Danzig (Gdańsk). In der westpreußischen Kleinstadt kamen in den folgenden Jahren Siegfrieds Geschwister Georg (*1899), Betty (*1901), Arthur (*1903) und schließlich Siegmund (*1905) zur Welt. Ein Familienfoto aus den 1910er-Jahren – aus dem Atelier Paul Saurin in Marienberg – zeigt das Ehepaar Anna und Aron Israel im Kreis ihrer fünf Kinder: Aron sitzend im gegürteten Feldrock der preußischen Armee, die älteren Söhne Siegfried und Georg im Anzug, Anna und Betty in Zivilkleidung und die jüngsten Kinder nach zeitgenössischem Stil in Matrosenanzügen. Vermutlich wurde das Familienbild kurz vor oder unmittelbar nach Beginn des Ersten Weltkriegs aufgenommen, da im Laufe dessen sich mindestens Siegfried und Georg entweder als Kriegsfreiwilliger meldeten oder einberufen wurden. Siegfried wurde 1917 bei Gefechten leicht verwundet und geriet zum Kriegsende hin – ebenso wie Georg – in Kriegsgefangenschaft, aus der die beiden Brüder erst nach 1919 zurückkehrten. 

Es ist nicht ganz klar, wann die Familie Tiegenhof beziehungsweise Westpreußen verließ und sich in Berlin niederließ. Tiegenhof wurde nach dem Ende des Ersten Weltkriegs aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrages der Freien Stadt Danzig angegliedert und wurde Kreisstadt des neu geschaffenen Landkreises Groß Werder. Die Familie zog vielleicht bereits in den 1920er-Jahren nach Berlin, zweifelsfrei lässt sich der Nachweis für Anna und Aron aber erst in den 1930er-Jahren erbringen, als das Ehepaar eine Wohnung in der Jagowstraße 44 im Westfälischen Viertel des damaligen Bezirks Tiergarten (heute Berlin-Mitte) bewohnte. Annas Sohn Arthur sollte später in der Georgenkirchstraße in Friedrichshain leben.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüd*innen ab 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Anna Israel und ihre Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden, Anfang der 1930er-Jahre nahm die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zu. Ab 1933 institutionalisierte sich der Rassismus mit Hilfe staatlicher Autorität. Gesetze und Sondererlasse drängten Anna Israel zunehmend in die Position einer Rechtlosen im eigenen Land. 

Vier der fünf Kinder verließen mit ihren Familien Deutschland: Siegfried und Siegmund gelang die Ausreise nach Südamerika, wo sie zunächst in Kolumbien lebten und später in die USA emigrierten; Betty konnte sich in die USA retten und Georg flüchtete in die Schweiz, wo er mit seiner Ehefrau Rosa und seinem 1929 geborenen Sohn Herbert in Basel lebte. Nur Arthur verblieb mit seiner Ehefrau Else, geb. Hirschfeld, und ihrem 1936 geborenen Sohn Stefan in Berlin. Ob Anna und Aron auch Pläne verfolgten, Deutschland in den 1930er-Jahren zu verlassen, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Sollten Sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese. Spätestens in den 1940er-Jahren wurde das Leben für das Ehepaar in Berlin zum reinen Existenzkampf: Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich gemäß der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Im Mai 1942 mussten sie ihre Wohnung in der Jagowstraße aufgeben und bezogen ein Zimmer zur Untermiete bei Dr. Carl Casper am Holsteiner Ufer 5.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 informierte die Gestapo die jüdische Gemeinde Berlins, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Anna und Aron Israel erhielten den Deportationsbescheid im Sommer 1942. Sie wurden im Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 interniert und von dort am 27. Juli 1942 mit dem sogenannten „30. Alterstransport“ in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Zwei Monate später, am 26. September 1942, wurden sie aus dem Ghetto weiter in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und ermordet. Sie waren zu diesem Zeitpunkt beide 71 Jahre alt.

Annas Kinder Siegfried, Siegmund, Betty und Georg Israel überlebten die NS-Verfolgung im Exil. Arthur wurde zusammen mit seiner Ehefrau Else und seinem sechsjährigen Sohn Stefan im März 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet. Annas Schwester Sara, verh. Hohenstein, wurde mit ihrem Ehemann Gustav (*1860) am 8. September 1942 aus Berlin nach Theresienstadt deportiert und am 29. September 1942 weiter in das Vernichtungslager Treblinka, wo sie beide ermordet wurden. Isidor Samuel wurde am 2. April 1942 zusammen mit seiner Ehefrau Emilie Samuel, geb. Kann (*1879), aus Berlin in das Ghetto Warschau deportiert. Sie gehörten nicht zu den wenigen Überlebenden des Warschauer Ghettos. Das Schicksal von Metha Schmul bleibt ungeklärt.