Ruth Caspary

Location 
Dortmunder Str. 13
District
Moabit
Stone was laid
11 September 2017
Born
07 June 1929 in Berlin
Deportation
on 09 February 1944 to Theresienstadt
Later deported
on 23 October 1944 to Auschwitz
Murdered
in Auschwitz

Ruth Caspary wurde am 7. Juni 1929 in Berlin geboren. Sie war die einzige Tochter des Juristen, Rechtshistorikers und Schriftstellers Dr. Adolf Wolff Caspary (1898–1953) und dessen Ehefrau Anna Hirsch, verh. Caspary. Die Eltern heirateten 1928 in Berlin und bezogen eine gemeinsame Wohnung in der Württembergischen Straße 21/22 in Wilmersdorf. Ruths Vater war der Sohn des Künstlers und Mitbegründers der jüdischen Wohlfahrt, Eugen Caspary (1863–1931) und dessen Ehefrau Mathilde Caspary, geb. Daus (1869–1944). Er gehörte während der Zeit der Weimarer Republik der philosophischen Gruppe um Oskar Goldberg (1885–1953) an und machte sich mit verschiedenen Abhandlungen einen Namen, darunter mit seiner Schrift „Die Maschinenutopie“ (1927), in der er die Fortschrittsgläubigkeit kapitalistischer und gleichermaßen marxistischer Gesellschaften kritisierte, sowie der vielbeachteten militärökonomischen Analyse „Wirtschaftsstrategie und Kriegsführung“ (1932). Ruths Mutter war die Tochter von Bernhard Hirsch (1869–1953), eines Kaufmanns und Mitinhabers der großen Textilwarenfabrik Hugo Herrmann & Co. und dessen Ehefrau Klara Hirsch, geb. Baumgarten. Die frühe Jugend von Ruth Caspary dürfte vom bildungsbürgerlich-philosophischen Umfeld ihrer Eltern geprägt worden sein, zum Bekanntenkreis der Casparys gehörten zahlreiche bedeutende Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler, darunter Bertolt Brecht, Walter Benjamin, Robert Musil, Thomas Mann und Albert Einstein.

Indes hielt die Ehe ihrer Eltern nicht lange. Im März 1932 ließen sich Anna und Adolf Caspary scheiden. Ruth lebte von da an mit ihrer alleinerziehenden Mutter zusammen, zunächst in einer Zweieinhalbzimmerwohnung in der Kaiserin-Augusta-Straße 50 in Tempelhof. Der Lebensstandard von Mutter und Tochter dürfte im Bereich gutbürgerlichen Berliner Niveaus gelegen haben. Aus den späteren Vermögensaufstellungen, die Ruths Mutter zwangsweise abgeben musste und anhand derer der nationalsozialistische Staat ihr Vermögen Stück für Stück beschlagnahmte, ist ersichtlich, dass sie Ende der 1920er-Jahre Immobilien im Grunewald besaß – ein 3600 Quadratmeter großes Baugrundstück an der Fontanestraße 1 – welches sie 1934 parzelliert verkaufte, sowie erhebliche Vermögenswerte in Wertpapieren, die ihr allerdings in den 1930er-Jahren auf Sperrkonten nicht mehr frei zur Verfügung standen. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Leben von Mutter und Tochter im Berlin der Weimarer Republik geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüd*innen ab 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Ruth und ihre Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Ruth erfuhr die Diskriminierung aufgrund ihrer Geburt als Tochter jüdischer Eltern unmittelbar in ihrer Bildung: Bereits 1933 war der 3-Jährigen mit dem „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ die Chance auf einen höheren Bildungszweig versperrt worden. Ein Erlass von 1935 sah zudem eine „möglichst vollständige Rassentrennung“ in Schulen vor, bevor 1938 jüdischen Schüler der Besuch staatlicher Schulen grundsätzlich verboten wurde. Ruth besuchte ab 1935 die 4. Volksschule in Berlin und, nachdem dies nicht mehr möglich war, ab April 1939 eine der Schulen der Jüdischen Gemeinde – bis spätestens 1942, da zu diesem Zeitpunkt Privatschulen zwangsweise geschlossen wurden. Auf späteren Deportationslisten aus dem Jahr 1944 wird Ruth Caspary als Praktikantin aufgeführt, ohne dass nähere Informationen zum Ausbildungsverhältnis hervorgehen.

In den 1930er-Jahren schafften es mehrere ihrer Verwandten, aus Deutschland zu fliehen: Ihre Tante Gerta und ihr Großvater mütterlicherseits, Bernhard Hirsch, konnten sich in das britische Mandatsgebiet Palästina retten; Vater Adolf, der sich Mitte der 1930er-Jahre eine Zeitlang mit Oskar Goldberg in Italien aufgehalten hatte, gelang noch 1941 über Marseille und Lissabon die Flucht in die USA. Ob auch Mutter Anna in den 1930er-Jahren Pläne verfolgte, mit ihr aus Deutschland zu entkommen, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Sollte sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese. Spätestens 1935 zogen die Casparys in eine Wohnung in der Dortmunder Straße 13 im Westfälischen Viertel in Moabit und von dort aus – vermutlich 1939/1940 – in eine Anderthalbzimmerwohnung in der Charlottenburger Wielandstraße 37 bei Böhm zur Untermiete. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre wurde das Leben für Mutter und Tochter in Berlin zum reinen Existenzkampf. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich gemäß der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. In den 1940er-Jahren wurde Ruths Mutter außerdem zu Zwangsarbeit herangezogen – zuletzt als Arbeiterin bei der Firma C. Pose, die in der Boxhagener Straße 16 Wehrausrüstung herstellte.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 informierte die Gestapo die jüdische Gemeinde Berlins, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Im Frühjahr 1943 wurde Ruths Mutter im Rahmen der „Fabrik-Aktion“, bei der die letzten offiziell in der Hauptstadt verbliebenen Juden deportiert werden sollten, von der Gestapo an ihrem Arbeitsplatz verhaftet und in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 verschleppt. Von dort aus wurde sie am 1. März 1943 mit den sogenannten „31. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort – vermutlich unmittelbar nach der Ankunft des Transports – ermordet.

Die damals dreizehnjährige Ruth wurde nach der Verhaftung ihrer Mutter von ihrer Großmutter Mathilde Caspary aufgenommen und lebte mit ihr bis Anfang 1944 in Schöneberg in der Geisbergstraße 33 zur Untermiete bei Graetz. Am 9. Februar 1944 wurden Ruth und Mathilde beide in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie am 23. Oktober 1944 getrennt wurden und die fünfzehnjährige Ruth aus dem Ghetto weiter in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet wurde.

Von den Familienangehörigen von Ruth Caspary überlebten ihre Tante Gerta Hirsch, verheiratete Guttmann, und ihr Großvater Bernhard Hirsch im Exil in Palästina; ihr Vater in den USA. Ruths Großmutter Mathilde Caspary erlebte die Befreiung des Ghettos Theresienstadt und emigrierte später zu ihrem Sohn in die USA.