Nanchen Katz née Hess

Location 
Dortmunder Str. 13
District
Moabit
Stone was laid
11 September 2017
Born
27 January 1879 in Birnstein (Hessen)
Deportation
on 04 March 1943 to Auschwitz
Murdered
in Auschwitz

Nanny (auch Nanchen genannt) Hess wurde am 27. Januar 1879 in der hessischen Kleinstadt Birstein am südlichen Fuß des Vogelsbergs geboren. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Nanny Hess haben sich keine Zeugnisse erhalten. Es ist auch nicht bekannt, ob sie im Kreis von Geschwistern aufwuchs oder das einzige Kind ihrer Eltern blieb. Aller Wahrscheinlichkeit nach gehörten ihre Eltern aber zur jüdischen Gemeinde der Stadt, zu der zum Zeitpunkt der Geburt von Nanny etwa 100 der rund 1100 Einwohner zählten. Zwischen 1845 und 1937 gab es in Birstein eine israelitische Elementarschule, in der in den 1870er-Jahren Israel Schuster unterrichtete. 1871 besuchten 35 Kinder der Gemeinde die Schule. 

Ob und welchen Beruf Nanny nach ihrem Abschluss ergriff, bleibt unbekannt. In den 1900er-Jahren lebte sie in der nordöstlich von Birstein gelegenen Stadt Eschwege in Nordhessen, wo sie den Bäckermeister Simon Katz heiratete. Simon war 1880 in der osthessischen Stadt Rotenburg an der Fulda als Sohn des Kaufmanns Mendel (1840–1902) und Bertha Beila Katz, geb. Emmerich (1838–1916), geboren worden. Nach der Hochzeit nahmen sich die Eheleute eine gemeinsame Wohnung in der Sedanstraße 2 (heute Schillerstraße) in Eschwege. Den Unterhalt bestritt Simon Katz als örtlicher Bäckermeister und Konditor mit eigenem Ladenlokal. 1907 kam das erste Kind des Ehepaares, Max, zur Welt. Ein Jahr später folgte die Tochter Else.

Im Jahr 1912 zog die kleine Familie um. Die neue Wohnung lag, unweit der alten, in der Bahnhofstraße 22, einem 1903 erbauten, viergeschossigen Jugendstil-Wohnhaus, das heute denkmalgeschützt ist. Das Ehepaar Katz ließ die im Hof befindliche Tischlerwerkstatt 1912 zu einer Backstube umbauen und richtete im bossiertem Sandstein-Erdgeschoss des Hauses ein bald florierendes Café ein – beliebt bei den Anwohnern und reichlich frequentiert von den Reisenden des nahegelegenen Bahnhofs. Die Familie Katz dürfte im Eschwege der Kaiserzeit und der Weimarer Republik zur gutbürgerlichen Mittelschicht gezählt haben. Nannys Sohn Max absolvierte nach seinem Schulabschluss eine kaufmännische Lehre, heiratete 1932 in Eschwege Lotte Cahn (*1903) und wurde Inhaber der Eschweger Firma Cahn & Co. Ob und welchen Beruf Else nach ihrem Abschluss ergriff, ist nicht bekannt. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Leben der Familienmitglieder in Eschwege der Weimarer Republik geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüd*innen ab 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Nanny Katz und ihre Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Ab 1933 waren die Eheleute Katz außerdem auch als Café-Inhaber von antisemitischen Kampagnen, Boykotten und Ausschreitungen betroffen, die ihren sichtbarsten Ausdruck in den Pogromen im November 1938 erfuhren. Bereits im März 1933 hatte die SA und der „Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes“ antisemitische Flugblätter in Eschwege in Umlauf gebracht, die als großangelegte Propagandakampagne den Boykott jüdischer Unternehmen einleitete. Seit 1933 kam es auch zu ersten Übergriffen auf jüdische Bürger in der Stadt, die sich ab dem Jahr 1935 in Form von Misshandlungen und Inhaftierungen massiv verschärften. Die Eheleute Katz wurden in der Kleinstadt ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage beraubt und waren Ziel antisemitischer Anfeindungen. Ihre Tochter Else ging 1936 nach Berlin, wo sie den Pädagogen Karl Eisemann heiratete und sich mit ihm eine gemeinsame Wohnung in der Dortmunder Straße 13 in Moabit nahm. Im Dezember 1937 kam ihre Tochter Noemi zur Welt. 

Ende der 1930er-Jahre gelang es Nannys Sohn Max, mit seiner Familie – seiner Ehefrau Lotte und seiner 1935 in Eschwege geborenen Tochter Inge – nach Südamerika zu fliehen. Sie schafften es über Paraguay, Brasilien und Argentinien bis 1940 ins Exil in die USA. Ob auch Nanny und Simon Katz in den 1930er-Jahren Pläne verfolgten, Deutschland zu verlassen, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Sollten sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese. Nach den Pogromen im November 1938 in Eschwege wurden alle Männer der jüdischen Gemeinde Eschweges in „Schutzhaft“ genommen – so auch der 58-jährige Ehemann von Nanny. Die Männer wurden im sogenannten Hochzeitshaus Eschwege interniert, wo sie sich körperlichen und psychischen Misshandlungen ausgesetzt sahen, bevor sie in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert wurden. Simon Katz war mit der Häftlings-Nr. 30275 mindestens von Ende November bis Mitte Dezember 1938 im KZ Buchenwald inhaftiert. Mehrere der aus Eschwege deportierten Juden überlebten die Lagerhaft oder deren Folgen nicht: So auch der Schwiegervater von Nannys Sohn, der 75-jährige Selmar Cahn. Er starb unmittelbar nach der Entlassung an den Folgen der körperlichen Misshandlungen.

Nach der Entlassung aus Buchenwald kehrte Simon zu seiner Frau nach Eschwege zurück. In der Bahnhofsstraße fanden im Frühjahr 1939 andere jüdische Bürger Eschweges eine Bleibe, die ihre Wohnung infolge der Zwangsmaßnahmen verloren hatten. Im Dezember 1939 verließen Nanny und Simon schließlich ihre hessische Heimatstad, in der sie vier Jahrzehnte zu Hause gewesen sind, und zogen nach Berlin – vermutlich mit der Hoffnung, in der Anonymität der Großstadt einen besseren Schutz zu finden und ihrer Tochter und ihrer Enkelin näher zu sein. Das Ehepaar bezog zunächst eine Wohnung in der Klopstockstraße 20 in Tiergarten, gab sie wieder auf und bezog im Dezember 1941 ein Zimmer zur Untermiete in der Wohnung ihrer Tochter in der Dortmunder Straße 13.

Spätestens Anfang der 1940er-Jahre wurde das Leben für die Familienmitglieder in Berlin zum reinen Existenzkampf. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich gemäß der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Sowohl Nannys Ehemann als auch ihre Tochter und ihr Schwiegersohn Karl wurden zu Zwangsarbeit verpflichtet: Karl Eisemann, der zuvor Schulleiter der Volksschule der jüdischen Gemeinde Rykestraße gewesen war, als „Erdarbeiter“ für die Friedhofsverwaltung der Jüdischen Kultusvereinigung; Else Eisemann als Arbeiterin bei der Firma Martin Michalski – Uniformbetrieb in Friedrichshain und Simon Katz als Arbeiter bei der Maschinenfabrik Arthur Melaun in der Quitzowstraße 10 in Tiergarten.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 informierte die Gestapo die jüdische Gemeinde Berlins, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Im Oktober 1942 mussten Nanny und Simon miterleben, wie ihre Tochter aus der gemeinsamen Wohnung deportiert wurde. In einem späteren Brief an Max Katz schilderte ein Nachbar die Situation: 

„Als ersten (sic!) wurde Herr Dr. Eisemann von der Gestapo abgeholt, daß war am Freitag und Montag ist Else freiwillig ihrem Manne nachgefolgt und ihr Kind wurde dann ein paar Stunden, da es noch geschlafen hatte von jüdischen Helferinnen abgeholt.“ 

Karl, Else und Noemi Eisemann wurden am 26. Oktober 1942 mit dem „22. Osttransport“ aus Berlin in das Ghetto Riga deportiert und ermordet. Nanny und Simon Katz lebten noch bis März 1943 in Berlin, bis sie im Rahmen der „Fabrik-Aktion“, bei der die letzten offiziell in der Hauptstadt verbliebenen Juden deportiert werden sollten, im Frühjahr 1943 von der Gestapo verhaftet und in eines der für diese Zwecke provisorisch hergerichteten Sammellager in Berlin verschleppt wurden. Die Eheleute wurden dann getrennt: Nanny Katz wurde am 4. März 1943 mit dem „34. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet, einen Tag nachdem ihr Ehemann dasselbe Schicksal erlitt. Nanny Katz war zum Zeitpunkt der Deportation 64 Jahre alt, Simon Katz 62. 

Nannys Sohn Max überlebte die NS-Verfolgung mit Ehefrau und Tochter im Exil in den USA.