Fanny Levy geb. Eloesser

Verlegeort
Flotowstraße 10
Bezirk/Ortsteil
Hansaviertel
Verlegedatum
21. März 2014
Geboren
25. April 1869 in Berlin
Deportation
am 28. Juli 1942 nach Theresienstadt
Später deportiert
am 26. September 1942 nach Treblinka
Ermordet
in Treblinka

Fanny Eloesser wurde am 25. April 1869 in Berlin geboren. Sie war die Tochter des Kaufmanns Theodor Tobias Eloesser (1832–1902) und dessen Ehefrau Johanna (Hanna) Levin, verh. Eloesser (1845–1911). Ihr Vater war Mitte des 19. Jahrhunderts aus Ostpreußen nach Berlin gekommen; ihre Mutter, früh verwaist, war aus Pommern zu Verwandten nach Berlin übergesiedelt, wo sie Theodor kennenlernte und heiratete. Fanny wuchs im Kreis von fünf Geschwistern auf: Ihr älterer Bruder Wilhelm Willy Eloesser (1865–1914), ihre Schwester Ida Johanne Eloesser (1866–1921), ihr jüngerer Bruder Arthur Eloesser (1870–1938), der später einer der renommiertesten Theater- und Literaturkritiker der Kaiserzeit und Weimarer Republik wurde, ihr Bruder Richard (1871–1923) sowie ihr Bruder Max Eloesser, dessen Geburts- und Sterbedatum nicht bekannt sind. Die Familie wohnte unweit des Alexanderplatzes in der Prenzlauer Straße Nr. 26 (heutige Karl-Liebknecht-Straße). Von Arthur ist bekannt, dass er das Sophiengymnasium in Berlin besuchte und anschließend an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin (heute Humboldt-Universität) studierte, an der er auch promovierte. Über die schulische Laufbahn von Fanny Levy haben sich keine Zeugnisse erhalten. Dafür lassen sich aus den späteren Schriften ihres Bruders Arthur einige Informationen zu ihrem Elternhaus und der Kindheit der Geschwister ableiten. Insbesondere in den „Erinnerungen eines Berliner Juden“, die Eloesser 1934 in acht Fortsetzungen in der Jüdischen Rundschau veröffentlichte, zeichnet er das Bild einer weitgehend unbeschwerten Jugend in einer dem Bildungsbürgertum nahestehenden Kaufmannsfamilie des liberalen Judentums.

Er schreibt: 

„Das Haus [in der Prenzlauer Straße], in dem ich geboren wurde und meine Jugend bis zu den ersten akademischen Semestern verbrachte, war noch eine Welt im Kleinen, ein ziemlich vollständiger Aufriß der Gesellschaftsschichtung […]. Das erste Stockwerk, das aber Belétage genannt werden mußte, hatten wir selbst inne, und über uns im zweiten wohnte wieder eine jüdische Kaufmannsfamilie, deren Lebenshaltung mit der unseren durchaus übereinstimmte.“

Die sechs Geschwister Eloesser spielten im Stall, der sich im Hof der Mietskaserne befand, oder versammelten sich, um sich mit Geschichten zu unterhalten: 

„Der Stolz des Hofes aber war ein Fliederbaum, um den wir Jungen und Mädel uns vom Frühjahr an abendlich versammelten, um uns, angenehm müde von Spielen und Raufen, etwas zu erzählen.“

Der Unterhalt durch die Kaufmannstätigkeit des Vaters – er war Inhaber eines Waaren-, Agentur- u. Kommissionsgeschäfts – genügte, um der Familie ein gutbürgerliches Einkommen zu sichern. „Den Sommer nach meiner Geburt [1871] verlebten meine Eltern in Pankow“, die Mutter hatte vorher schon eine Sommerwohnung in Charlottenburg besessen. In der Prenzlauer Straße hatten die Kinder eigene Zimmer: 

„Die beiden jüdischen Familien des Vorderhauses stellten zugleich die Bourgeoisie dar, man hatte eine geräumige Wohnung, darin ein oder zwei Zimmer für das noch übliche Halbdutzend Kinder, man hatte ein Badezimmer, und wem ein Mädchen für alles genügte, statt eines richtigen Hausmädchens und einer Köchin, der war auf dieser Stufe noch nicht angekommen.“

Im Haushalt der Eloessers war verschiedenes Dienstpersonal beschäftigt: Eine Köchin, ein Hausmädchen, das „Fräulein“ der Schwestern, eine Waschfrau und ein „treuer, alter Hausdiener“. Religion spielte, zumindest für die Kinder, in den Jugendjahren eine untergeordnete Rolle: 

„Daß wir Juden waren […] wurde mir […] erst durch unsere Feiertage bewußt […]. Meine Eltern hielten das Neujahrsfest und das Versöhnungsfest, allerdings ohne zu fasten, wie sie auch gleich allen Verwandten keinen rituellen Haushalt mehr führten; sie gingen in die Synagoge mit ihren Gebetbüchern, deren Deckel merkwürdige Schriftzeichen in alter Vergoldung trugen; sie dachten nicht daran, uns mitzunehmen oder uns durch die Bar-Mizwah in die alte Gemeinschaft aufnehmen zu lassen. Die geheime Meinung war ungefähr: uns ist es noch Bedürfnis, das mitzumachen, ihr könnt euch in immer fortschreitenden Zeiten einrichten, wie ihr wollt."

Am 26. Juni 1891 heiratete die 22-jährige Fanny den Kaufmann und Bankier Moritz Levy und zog aus der elterlichen Wohnung in der Prenzlauer Straße in die Wohnung ihres Ehemannes in der Göbenstraße 9 in Schöneberg. Kurz darauf zog das Ehepaar, das kinderlos bleiben sollte, in die Thurmstraße 4 in Moabit und 1899 in die Brückenallee 22 im Hansaviertel (heute Barningallee). Fannys Ehemann war 1854 in Krotoschin (Krotoszyn) geboren und hatte 1885 ein Bankgeschäft unter seinem Namen in Berlin gegründet. Moritz war Mitglied der Korporation der Berliner Kaufleute. Sein Geldinstitut lag ursprünglich in der Thurmstraße, dann im Parterre der Rathenower Straße 2 in Moabit und firmierte später an seinem Wohnort in der Brückenallee. Mehrere der Geschwister Moritz‘ führten außerdem sehr erfolgreich Unternehmen in Berlin: Allen voran Benas Levy (1856–1931), der eine Baumwollwarenfabrik in der Spandauer Straße 41 gegründet hatte, mit seinen Artikeln zu Handel und Verarbeitung von Baumwolle internationale Anerkennung fand und sich sehr aktiv in der jüdischen Gemeinde Berlins engagierte. Am 2. April 1913 starb Moritz Levy in Berlin. Fanny überlebte ihren Ehemann fast 30 Jahre. Sie lebte als Witwe in Berlin von dem geerbten Vermögen, beteiligte sich an Kapitalanlagen in Grundstückswerten und bekam außerdem nach dem Tod von ihrem Schwager Benas aus dessen Hinterlassenschaft eine jährliche Rente ausbezahlt. 1915 war sie aus der Wohnung in der Brückenallee 22 in eine Erdgeschosswohnung in der Altonaer Straße 10 am Spreebogen nahe des Tiergartens umgezogen.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüd*innen ab 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Fanny Levy und ihre Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden, Anfang der 1930er-Jahre nahm die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zu. Ab 1933 institutionalisierte sich der Rassismus mit Hilfe staatlicher Autorität. Gesetze und Sondererlasse drängten Fanny zunehmend in die Position einer Rechtlosen. 

1933 zog sie aus der Wohnung in der Altonaer Straße in eine Wohnung in der nahegelegenen Klopstockstraße 20. Ihr Bruder Arthur musste 1933 seine Arbeit bei der Vossischen Zeitung aufgeben. Eloessers Werke standen auf der von der Berliner Illustrierten veröffentlichten Liste „verbrennungswürdiger Bücher“. Er fand in den Folgejahren eine Anstellung bei der Jüdischen Rundschau, bevor er im Februar 1938 nach einer Operation im Jüdischen Krankenhaus Berlin verstarb und auf dem Wilmersdorfer Waldfriedhof in Stahnsdorf bestattet wurde. Nach dem Tod ihres Bruders pflegte Fanny ein enges Verhältnis zu ihrer Schwägerin, der verwitweten Margarete Eloesser, geb. Nauenburg (1881–1942). Deren Sohn Max Theodor Eloesser (1905–1963) konnte 1933 in das britische Mandatsgebiet Palästina und Margaretes Tochter Elisabeth (1907–1987) mit ihrem Ehemann Hermann Gebhardt sowie Margaretes Enkelin Irene 1937 nach Montevideo (Uruguay) fliehen. Die verzweifelten Bemühungen von Margarete, ihrer Tochter nach Südamerika nachfolgen zu können und aus Deutschland zu entkommen, sollten sich nicht erfüllen. 

„Grete ist nach wie vor stark mit ihrer Ausreise beschäftigt, ohne sonderliche Fortschritte zu machen. Aber vielleicht kommt es doch mal dazu“, schrieb Fanny am 14. September 1941 in einem Brief an ihre Nichte Edith Munter in São Paulo. Ob auch Fanny selbst in den 1930er-/1940er-Jahren Pläne verfolgte, Deutschland zu verlassen, geht aus den Quellen nicht hervor. Sollte sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese spätestens mit dem 23. Oktober 1941, als das Reichssicherheitshauptamt die Auswanderung von Juden durch ein allgemeines Ausreiseverbot unterband. Fanny hatte inzwischen ihre Wohnung in der Altonaer Straße aufgeben müssen. Sie zog im Juli 1937 zur Untermiete bei Lipmann in eine Wohnung in der Cuxhavener Straße 18. Am 13. März 1942 zog sie schließlich noch einmal um – nunmehr in ein einzelnes Leerzimmer im Parterre in der Flotowstraße 10 im Hansaviertel, welches sie zur Untermiete bei Feige bewohnte. Spätestens in den 1940er-Jahren wurde das Leben der beiden Witwen Margarete Eloesser und Fanny Levy zum Existenzkampf. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich gemäß der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. 

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 informierte die Gestapo die jüdische Gemeinde Berlins, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Fanny erhielt den Deportationsbescheid im Sommer 1942. Sie wurde im Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 interniert. Von dort aus wurde die 73-jährige am 28. Juli 1942 mit dem „31. Alterstransport“ in das Ghetto Theresienstadt verschleppt. Nach wenigen Wochen im Ghetto wurde Fanny Levy am 26. September 1942 weiter in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet.

Ihre Schwägerin Margarete Eloesser war bereits im Januar 1942 aus Berlin nach Riga deportiert worden, wo sie nach ihrer Ankunft in den nahegelegenen Wäldern bei Rumbula erschossen wurde. Fannys Neffe Max Theodor Eloesser überlebte im Exil in Palästina. Ihre Nichte Elisabeth Eloesser, verh. Gebhardt, überlebte mit ihrer Familie in Südamerika.