Arthur Aron Conitzer

Verlegeort
Krefelder Straße 7
Bezirk/Ortsteil
Moabit
Verlegedatum
30. November 2013
Geboren
01. März 1874 in Jeschewo / Jeżewo
Deportation
am 12. Januar 1943
Ermordet
in Auschwitz

Arthur Aron Conitzer wurde am 1. März 1874 im westpreußischen Jeschewo (dem heutigen Jeżewo in Polen) als jüngster Sohn von Alexander Conitzer (1823–1898) und dessen Ehefrau, Auguste Kalenscher, verh. Conitzer (1825–1875), geboren. Die Conitzers waren eine Kaufmannsfamilie. Sie gründeten und führten die von der Jahrhundertwende bis zu den 1930er-Jahren sehr erfolgreiche Warenhauskette Conitzer & Co. Arthurs Großvater Aron Conitzer hatte noch eine Religionsschule und Lehrstätte für Kinder in Zempelburg (Sępólno Krajeńskie) geführt, während seine sieben Kinder mit einem kleinen Ladengeschäft in Jeschewo im 19. Jahrhundert ihre Geschäftstätigkeit begannen. Das erste Kaufhaus wurde 1882 von Moses Conitzer – einem der Brüder von Arthurs Vater –  zusammen mit seinen Söhnen Nathan, Alex und Hermann in Marienwerder (Kwidzyn) eröffnet. Bald darauf folgten weitere Geschäftseröffnungen durch Familienmitglieder in anderen Städten, in den folgenden Jahrzehnten dehnte sich der Konzern mit 22 Filialen unter dem Namen Conitzer und Söhne auf einen großen Teil Deutschlands von Westpreußen bis Osnabrück, südlich bis nach Coburg aus. Wie es bei erfolgreichen Kaufhausgründungen Anfang des 20. Jahrhunderts üblich war, führte auch die Familie Conitzer wesentliche Neuerungen ein: freier Zugang zu den Waren, Festpreise, Umtauschrecht und Barverkauf. Die konzerneigene Einkaufszentrale befand sich in Berlin. 1927 bildete sie eine Interessengemeinschaft mit dem damals weltbekannten Tietz-Konzern (Hertie). Zu dieser Zeit hatte der Conitzer Konzern einen jährlichen Umsatz von rund 30 Millionen Reichsmark.

Arthur Aron Conitzer war im Kreis von acht Geschwistern aufgewachsen. Sein Vater stammte aus Zempelburg, seine Mutter aus Nakel (Nakło). Nach der Eheschließung ließen sie sich in Jeschewo nieder, wo 1857 ihr erster Sohn, Sally, zur Welt kam. Es folgten Rosa (*1859), Moritz (*1862), Israel (*1864), Adolf (*1866), Flora (*1868), Martha (*1870), Leo (*1872) und 1874 schließlich Aron, der sich später Arthur nennen sollte. Nach dem frühen Tod der Mutter kümmerte sich Rosa um ihre jüngeren Geschwister und übernahm teilweise die Mutterrolle. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Arthur und seinen Geschwistern in Jeschewo haben sich sonst kaum Informationen erhalten. Seine Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde der Stadt. Nach der Schulausbildung absolvierte Arthur eine kaufmännische Ausbildung, um in das Familienunternehmen einzutreten. Von 1902 bis 1920 führte Arthur gemeinsam mit seinen Brüdern Sally und Israel Conitzer sowie seinem Schwager Nathan Arendt, dem angetrauten Ehemann von Martha Conitzer, das Warenhaus Conitzer & Co. in Goßlershausen (Jabłonowo Pomorskie). Am 15. März 1914 – wenige Wochen vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs – heiratete der 40-jährige Unternehmer die 18 Jahre jüngere Gertrud Conitzer, die 1892 in Schwetz an der Weichsel (Świecie) zur Welt gekommen war.

Im Mai 1915 wurde Lieselotte Conitzer, das erste Kind des Ehepaares, in Danzig (Gdańsk) geboren, verstarb jedoch noch im Kleinkindalter am 2. April 1916 im Anwesen der Familie in Goßlershausen. Im Dezember 1917 folgte Ursula Brigitte Conitzer in Thorn (Toruń) und am 21. August 1919 Ruth Erika Conitzer in Goßlershausen. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde Goßlershausen nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages 1920 polnisch und die Familie verließ die Stadt. Arthur ging mit seiner Ehefrau und seinen zwei Töchtern nach Tangermünde an der Elbe im heutigen Sachsen-Anhalt, wo er ein neues Kaufhaus aufbaute. Seine Geschwister gründeten ebenfalls eigene Warenhäuser: sein Bruder Adolf in Aschersleben, Leo in Schönebeck und Schwager Nathan Arendt im nahegelegenen Tangerhütte. 

Das Kaufhaus Conitzer & Co. von Arthur lag zunächst in gepachteten Räumen in der Langen Straße 35 in der Innenstadt, war modern eingerichtet und bald die erste Adresse für Haushalts- und Manufakturwaren sowie Herren- und Damenkonfektion in der Stadt. Im Winter wurden auch Spielwaren geführt. Bis zu 30 Angestellte waren im Kaufhaus beschäftigt, das der Familie einen gehobenen Lebensstandard sicherte. 1929/1930 erwarb Arthur Conitzer ein Grundstück gegenüber der Sankt Stephanus Kirche in der Langen Straße 41. In dem Haus wurde ein zweites Kaufhaus als Einheitspreisgeschäft eingerichtet, das von Gertrud Conitzer als Geschäftsführerin betrieben wurde. 1932 erweiterten die Conitzers den Bau des Grundstücks Lange Straße 41 und verlegten das erste Kaufhaus an diese Adresse. Das Einheitspreisgeschäft bildete nunmehr einen Teil des Kaufhauses. Im selben Haus lag die elegant eingerichtete Siebenzimmerwohnung der Conitzers im obersten Stockwerk. Arthur und Gertrud legten besonderen Wert auf die Erziehung ihrer Töchter. In der Wohnung gab es neben vielen Kunstgegenständen und einer modern ausgestatteten Bibliothek auch ein Musikzimmer, in welchem sich die Familienmitglieder zur gemeinsamen Hausmusik versammeln konnten. Ein Kindermädchen, ein Dienstmädchen und eine Köchin halfen bei der Haushaltsführung. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Familienleben in der Zeit der Weimarer Republik geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüd*innen ab 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Arthur Conitzer und seine Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Seit 1933 waren die Conitzers als Geschäftsinhaber zudem von antisemitischen Kampagnen, Boykotten und Ausschreitungen betroffen, die ihren sichtbarsten Ausdruck in den Pogromen im November 1938 erfuhren. Bereits im August 1933 hatte sich das gewaltsame Potential in der Stadt gezeigt, als SA-Männer etwa 100 Mitglieder der Arbeiterorganisationen zusammentrieben und misshandelten. Menschen, die der rassenideologischen Vorstellung einer NS-Volksgemeinschaft nicht entsprachen, waren in einer Kleinstadt wie Tangermünde besonders exponiert. Das Geschäft der Conitzers wurde in den 1930er-Jahren immer wieder zum Ziel rassistischer Übergriffe, SA-Posten versperrten der Kundschaft den Eintritt, der Verkauf ging spürbar zurück. Ende 1938 mussten Arthur und Gertrud schließlich das Kaufhaus zwangsweise weit unter seinem Wert verkaufen. Ihre Tochter Ursula schilderte später die Situation:

„Infolge des Judenboykotts wurde das Geschäft nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten immer schlechter. Es standen häufig Boykottposten vor der Tür und die Zahl der Angestellte wurde immer kleiner […]. Ich erhielt von meinen Eltern noch 1938 die Nachricht, dass sie das Geschäft in Tangermünde verkauft hätten und dass sie da sie es in dem kleinen Ort als Juden nicht aushalten könnten nach Berlin gezogen seien.“

Ursula Conitzer hatte in den 1930er-Jahren noch eine Ausbildung bei einer Bank begonnen, bevor sie diese zwangsweise abbrach und sich seit 1936 in verschiedenen Hachschara-Lagern auf eine Auswanderung nach Palästina vorbereitete. Ende Oktober 1937 bezahlten ihre Eltern ihr und ihrem künftigen Ehemann, Manfred Frankenstein, den sie im Februar 1938 in Italien heiratete, die Kosten ihrer Auswanderung. Ihre Route führte über Florenz und Triest in das britische Mandatsgebiet Palästina, wo im November 1938 ihre Tochter Ester zur Welt kam. Arthurs andere Tochter Ruth Erika bereitete sich ebenfalls in Hachschara-Lagern auf eine Auswanderung vor – zuletzt im Gut Winkel in Brandenburg – schaffte es aber mit ihrem 1940 angetrauten Ehemann Max Lindenstrauß nicht mehr rechtzeitig, aus Deutschland zu fliehen. Ob auch Arthur und Gertrud in den 1930er-Jahren Pläne verfolgen, das Land zu verlassen, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Sollten sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese. 

Nachdem das Ehepaar Conitzer Ende der 1930er-Jahre nach Berlin übergesiedelt waren, kamen sie zunächst in einer Wohnung in der Grüntaler Straße 37 in Wedding unter und später in einer Dreizimmerwohnung in der Krefelder Straße 7 in Tiergarten. Die Anonymität der Großstadt bot allerdings nur vorübergehend Schutz. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre wurde das Leben der Conitzers in Berlin zum reinen Existenzkampf. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich gemäß der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 informierte die Gestapo die jüdische Gemeinde Berlins, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Arthur und Gertrud erhielten den Deportationsbescheid im Frühjahr 1943. Kurz zuvor hatten sie noch eine Nachricht von ihrer Tochter aus Israel erhalten. Im November 1942 schrieb Ursula in einem Rote-Kreuz-Telegramm, das maximal 25 Wörter erlaubte, dass Manfred eine Anstellung bei einer Krankenkasse gefunden hatte, gratulierte Gertrud zum 50. Geburtstag und teilte mit, dass Ester jetzt im Kindergarten sei. Das Antwortschreiben vom 17. Dezember 1942 aus der Krefelder Straße war das letzte Lebenszeichen, das Ursula von ihrer Familie erhielt. Darin hieß es: 

„Überglücklich, dankbar für Nachricht. Gratulieren innigst. […] Unser Gesundheitszustand leidlich. Ruth, Max gesund. Erbitten baldigst Nachricht. Wünschen alles Gute. Esterchen Kräftiges Gedeihen. Eltern, Geschwister.“ 

Kurz nach der Sendung des Telegramms müssen Arthur und Gertrud in das Jüdische Krankenhaus in der Iranischen Straße 2 in Wedding gekommen sein. Von dort aus wurden die Ehepartner am 8./9. Januar 1943 in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 verschleppt und am 12. Januar 1943 mit dem „26. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo sie – vermutlich unmittelbar nach Ankunft des Transports – ermordet wurden. Arthur Aron Conitzer war zum Zeitpunkt der Deportation 68 Jahre alt, seine Ehefrau 50.

Ruth Erika Lindenstrauß und ihr Ehemann Max wurden im Frühjahr 1943 im ehemaligen Hachschara-Lager Gut Winkel verhaftet und am 1. März 1943 nach Auschwitz deportiert, wo Ruth ermordet wurde. Max Lindenstrauß wurde als Arbeitshäftling in das Lager selektiert, später in das Konzentrationslager Natzweiler-Struthof weiterdeportiert, kam am 16. November 1944 in das KZ-Außenlager Hailfingen-Tailfingen und Vaihingen an der Enz, wo er am 6. März 1945 ermordet wurde.

Aus Recherchen eines in den USA lebenden Nachfahren der Conitzers geht hervor, dass etwa 400 Mitglieder des weiteren Familienumkreises Conitzer unter den Nationalsozialisten interniert, deportiert und später ermordet wurden. Die verbliebenen Nachfahren leben über die ganze Welt verstreut. Von den Geschwistern von Arthur wurde Adolf Conitzer im November 1942 aus Magdeburg nach Theresienstadt deportiert, wo er am 1. Februar 1943 ermordet wurde. Leo Conitzer war 1938 verhaftet und für drei Monate im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert worden. Er wurde 1942 in Haft in der Staatspolizeileitstelle Magdeburg ermordet. Seine Ehefrau Else (*1884) wurde im April 1942 in das KZ Ravensbrück deportiert und dort am 10. Juli 1942 ermordet. Martha Conitzer, verh. Arendt, wurde im September 1942 aus Berlin in das Ghetto Theresienstadt deportiert, Ende September weiter in das Vernichtungslager Treblinka und dort ermordet. Arthurs Schwester Flora Conitzer, verh. Lewy, war bereits 1925 in Landsberg an der Warte verstorben; Bruder Israel 1935 in Berlin, die Geschwister Moritz und Sally Conitzer beide im Jahr 1938 und Rosa Conitzer 1939.