Ernestine Lippmann née Preiss

Location 
Turmstr. 36
District
Moabit
Stone was laid
09 February 2016
Born
18 October 1893 in Barmen-Elberfeld
Deportation
on 12 March 1943 to Auschwitz
Murdered
in Auschwitz

Ernestine Preiss wurde am 18. Oktober 1893 im damals noch eigenständigen Elberfeld geboren. Die bergische Großstadt im östlichen Rheinland wurde 1929 mit vier anderen Städten zu Barmen-Elberfeld vereinigt und im darauffolgenden Jahr in Wuppertal umbenannt. Ernestine Preiss war die Tochter des Kaufmanns Heinrich und dessen Ehefrau Ida Preiss, geb. Silberberg. Ob Ernestine das einzige Kind ihrer Eltern blieb oder ob sie im Kreis von Geschwistern aufwuchs, bleibt aus Quellenmangel ungewiss. Ihre Eltern gehörten aller Wahrscheinlichkeit nach zur relativ kleinen jüdischen Gemeinde Elberfelds, die zum Zeitpunkt der Geburt von Ernestine rund 1550 der etwa 140.000 Einwohner zählte.

Nach ihrem Schulabschluss absolvierte Ernestine Preiss eine Ausbildung zur Schneiderin und war als solche in Berlin tätig, wo sie am 12. Juni 1919 Max Becker heiratete. Max wurde 1884 in Berlin geboren und war der Spross einer Berliner Unternehmerfamilie. Wie sein Vater Louis Becker, der Anfang des 20. Jahrhunderts das Herrenausstattungsgeschäft Gebr. Becker gegründet hatte, unterhielt auch Max ein Unternehmen für Herrenartikel in Berlin. Das Ladengeschäft firmierte im Erdgeschoss an der Adresse Turmstraße 36 in Moabit. Im selben Haus lag auch die Wohnung von Max Becker in der zweiten Etage des Vorderhauses, in die Ernestine nach der Eheschließung einzog. Am 15. Juli 1920 wurde Heinz Lutz, das einzige Kind des Ehepaares geboren. Die Beckers dürften im Berlin der Weimarer Republik zur gutbürgerlichen Mittelschicht der Hauptstadt gezählt haben. Leider haben sich keine weiteren Zeugnisse aus dieser Zeit erhalten, die einen Einblick in das Leben der Familie geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüd*innen ab 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Ernestine Becker und ihre Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung sowie des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden, Anfang der 1930er-Jahre nahm die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zu. 

Im Frühjahr 1933 verstarb Max Becker. Ernestine lebte als Witwe weiter in Berlin in der Familienwohnung in der Turmstraße 36, bis sie am 25. Januar 1940 in zweiter Ehe den Kaufmann Georg Lippmann heiratete. Georg war 1889 als Sohn von Moses Moritz Lippmann (1852–1931) und dessen Ehefrau Bertha Friedenthal, verh. Lippmann (1854–1942) in Berlin geboren worden. Er hatte in den 1930er-Jahren als Handelsvertreter in der Hauptstadt gearbeitet. Unmittelbar nach den Pogromen im November 1938 wurde er verhaftet und für einige Wochen im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert. Nach der Hochzeit im Januar 1940 zog er in Ernestines Wohnung in der Turmstraße. Ernestines Sohn Heinz Lutz hatte sich bereits Ende der 1930er-Jahre aus Berlin nach England retten können. Ob auch Ernestine Pläne verfolgte, aus Deutschland zu fliehen, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Sollte sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese. 

Anfang der 1940er-Jahre wurde das Leben für das Ehepaar Lippmann in Berlin zum reinen Existenzkampf. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich gemäß der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Beide Ehepartner wurden außerdem zu Zwangsarbeit herangezogen. Sie waren beide zuletzt Arbeiter bei der als kriegswichtig eingestuften Firma Martin Michalski – Uniformbetrieb, die ihren Hauptsitz in der Großen Frankfurter Straße 137 hatte und Militärkleidung herstellte.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 informierte die Gestapo die jüdische Gemeinde Berlins, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Ernestine und Georg Lippmann wurde im Rahmen der „Fabrik-Aktion“, bei der die letzten offiziell in der Hauptstadt verbliebenen Juden deportiert werden sollten, Ende Februar oder Anfang März 1943 von der Gestapo verhaftet und in eines der provisorisch hergerichteten Sammellager verschleppt. Von dort aus wurden sie gemeinsam am 12. März 1943 mit dem „36. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Laut Gedenkbucheintrag wurde Georg Lippmann zunächst in das Lager selektiert, bevor der 53-Jährige nach wenigen Tagen am 27. März 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Für Ernestine Lippmann fehlt ein derartiger Eintrag. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde sie direkt nach der Ankunft des Transports in Auschwitz ermordet. In jedem Fall gehörten beide Ehepartner nicht zu den wenigen Überlebenden von Auschwitz. Ernestine Lippmann war zum Zeitpunkt der Deportation 49 Jahre alt. Ernestines Sohn Heinz Lutz überlebte die NS-Verfolgung im Exil in England.