Dr. Hans Pinner

Location 
Schlüterstr. 31
District
Charlottenburg
Stone was laid
06 May 2024
Born
20 March 1887 in Stargard (Pommern)
Occupation
Arzt
Deportation
on 06 March 1943 to Auschwitz
Murdered
08 March 1943 in Auschwitz

Hans Pinner wurde am 20. März 1887 in Stargard in Pommern geboren als ältester Sohn des Kaufmanns Max Pinner und seiner Ehefrau Margarethe geb. Ascher. Sie wohnten in der Pyritzer Straße 7. Sein Vater Max arbeitete vermutlich in der Firma seines Vaters „Joseph Pinner, Häute und Felle“, die er später übernahm, nachdem der Vater sich zur Ruhe gesetzt hatte. Die Firma hatte ihren Sitz in der Holzmarktstraße 40. Dort wohnte auch die Familie, als 1896 der neun Jahre jüngere Bruder Ernst zur Welt kam. Hans machte das Abitur in Stargard und studierte anschließend Medizin. Sein Staatsexamen legte er 1911 an der Universität Heidelberg ab. Im gleichen Jahr setzte sich sein Vater zur Ruhe und zog mit Margarethe und vermutlich auch Ernst nach Berlin, eine 7-Zimmer-Wohnung im Parterre der Schlüterstraße 31. Dort wohnte dann auch Hans, nach seinem Staatsexamen. Bis 1916 arbeitete er an der Charité Berlin, während des Krieges war er als Arzt in einem Feldlazarett tätig. Nach dem Krieg ging er zurück an die Charité und absolvierte dort eine Facharztausbildung in Urologie. Sein Bruder Ernst war bereits 1914, nach einer dreijährigen kaufmännischen Lehre, nach Stargard zurückgegangen, um den Familienbetrieb „Joseph Pinner“ zu übernehmen.

Ab 1921 finden wir für Hans Pinner einen eigenen Eintrag im Adressbuch, ebenfalls in der Schlüterstraße 31, wo er 1924 schließlich seine Praxis einrichtete, während er weiterhin bei seinen Eltern wohnte. Die Familie hatte seit 1912 zwei Angestellte, die Köchin Anna Wolffermann und die junge „Hausdame“ Emma Naffin. Mit Emma verlobte sich Hans 1916, bevor er als Arzt zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Nach dem Krieg wollten Emma und Hans ihre Beziehung weiterführen, jedoch konnte Hans, laut Emma sein Eheversprechen nicht einlösen, da die Eltern sich einer Heirat mit einer Christin widersetzten. Emma blieb aber im Haus. 1934 starb Max Pinner, auch soll Hans‘ Mutter Margarethe allmählich den Widerstand gegen die Ehe ihres Sohnes aufgegeben haben, doch inzwischen machten die Nürnberger Gesetze der nationalsozialistischen Regierung die Ehe zwischen einem Juden und einer Christin unmöglich. Emma wurde ein Verfahren wegen „Rassenschande“ angedroht, wenn sie weiter mit Hans zusammenlebe. Daraufhin nahm sie sich ein Zimmer zur Untermiete bei einer Zahnärztin im gleichen Haus. Später wurde sie  zur Arbeit bei der Akkumulatorenfabrik Pfalzgraf dienstverpflichtet.

Schon kurz nach der Machtübernahme Hitlers 1933 wurde Dr. Hans Pinner, wie auch anderen jüdischen Ärzten, die kassenärztliche Zulassung entzogen. Privatpatienten durfte er vorerst weiterbehandeln, aber im Juli 1938 wurde jüdischen Ärzten dann die Approbation gänzlich aberkannt. Mit einer besonderen Erlaubnis durften sie - ausschließlich jüdische - Patienten weiter behandeln, mussten sich aber „Judenbehandler“ oder „Krankenbehandler“ statt Arzt nennen und hatten dies auch „deutlich sichtbar“ auf allen Rezepten etc. und auf einem Schild zu vermerken, das, wie alle Schriftstücke, „auf blauem Grund einen gelben Kreis mit blauem Davidstern zeigt“, so die Verordnung.

1939 starb auch Margarethe Pinner. Der jüngere Sohn Ernst zog von Stargard wieder nach Berlin in die Schlüterstraße 31, nachdem er gezwungen worden war, die Firma zu liquidieren. Er wohnte mit Hans zusammen, bis er im April 1940 nach Argentinien auswanderte, Hans blieb allein zurück. Daraufhin, im Mai 1940, setze Hans ein handschriftliches Testament auf, in dem er Emma Naffin als Alleinerbin einsetzte und bestimmte, dass sein Bruder Ernst Pinner in Argentinien nichts erben sollte. Vielleicht hatten die Brüder vor Ernsts Auswanderung Streit, vielleicht aber auch wollte Hans so verhindern, dass ein möglicher Erbteil seines Bruders in die Hände der Nazis gelangte. Denn obwohl Hans mittlerweile nur monatlich 800 Reichsmark von einem Sperrkonto abheben durfte, so hatte er doch einiges Vermögen und mehrere Grundstücke in Stargard und Stettin von seinem Vater geerbt. Die 7-Zimmer-Wohnung hatte Hans allerdings inzwischen aufgeben müssen, er wohnte im gleichen Haus zur Untermiete bei dem Ehepaar Jacobsohn.

Das Testament half Emma Naffin zunächst nichts. Als sie am 5. März 1943 von der Arbeit kam, war Hans von der Gestapo abgeholt worden, seine Zimmer und die Praxis waren versiegelt – mit etlichen Emma gehörenden Sachen darin. Sie selbst durfte die Räume nicht mehr betreten. In ihrer Verzweiflung kehrte Emma in ihren Heimatort Wulfflatzke in Pommern zurück; sie gelangte erst nach dem Krieg als Flüchtling wieder nach Berlin.

Einen Tag, nachdem er verhaftet worden war, am 6. März 1943, wurde Hans Pinner nach Auschwitz deportiert und dort sofort nach seiner Ankunft am 8. März ermordet, „zu unbekannter Stunde“, wie die 1950 ausgestellte Sterbeurkunde vermerkt. Vielleicht aber gehörte er auch zu den 153 zum Arbeitseinsatz „selektierten“ Männern, denn ein Randvermerk von 1988 auf der genannten Sterbeurkunde besagt berichtigend, der Sterbetag sei der 26. April 1943 gewesen. Diese Korrektur wurde jedoch bisher nicht in den offiziellen Gedenkbüchern aufgenommen. Ohnehin hätte die „Tötung durch Arbeit“ nur einen kurzen Aufschub für ihn bewirkt.

Die Oberfinanzdirektion „verwertete“ die Einrichtung von Dr. Pinners Wohnung und Praxis in der Schlüterstraße 31 und beschlagnahmte alle seine Konten und Wertpapierdepots. Nach dem Krieg hatte Emma Naffin große Schwierigkeiten, dem Entschädigungsamt nachzuweisen, dass sie seine legitime Erbin war. Auch Ernst erhob Ansprüche auf das Erbe seines Bruders. Schließlich wurde Emma aber doch als Lebensgefährtin von Hans Pinner anerkannt, erhielt aber trotz des eindeutigen Testaments eine nur geringe Entschädigung und eine kleine Rente. Ernst zog seine Ansprüche zurück aufgrund des ihm offenbar vorher nicht bekannten letzten Willens seines Bruders. Er erstritt eine Entschädigung für seine eigenen Verluste, die er im Deutschen Reich erlitten hatte, also für die Firma und diverse Grundstücke.

In seinem Testament hatte Hans Pinner für seinen Onkel Martin Ascher und für seine Tante Bertha Ascher, Geschwister von Hans‘ Mutter Margarethe, ein Vermächtnis von jeweils 1000 Reichsmark monatlich verfügt, das Emma Naffin ihnen hätte auszahlen sollen. Martin Ascher, Jahrgang 1871, wurde am 6. August 1942 nach Theresienstadt deportiert und starb dort im Mai 1944 an den elenden Lebensbedingungen im Ghetto. Bertha Ascher, 1875 geboren, war zuvor am 2. April 1942 in das Ghetto Warschau verschleppt worden, wo sie ums Leben kam, wir kennen ihr Todesdatum nicht. Ernst Pinner überlebte zunächst in Argentinien und kehrte später nach Berlin zurück.